Capstan | eine sehr aktuelle Flake Legende

Bevor ich in den frühen 1970ern zum erstenmal Kenntnisse  über den Capstan Navy Cut erhielt, hatte ich mich schon einige wenige Jahre zuvor mit dem Capstan-Antrieb von Magnettonbändern auseinandergesetzt. Bei Sony gab es sogar einen Doppel-Capstanantrieb. Aber das ist eine andere Geschichte, wenn auch meine alten Studer und Revox oder die Sony 755A ab und zu noch einmal angeworfen werden. Dank Capstan kein Jaulen und Wimmern, keine Tonhöhenschwankungen. Eine andere Situation finden wir heute allerdings beim Capstan Navy Cut Blue, wenn man zahlreichen Wortmeldungen von echten oder selbstgefühlten Tabakkennern glauben mag

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Capstan Navy Cut war immer da, vermutlich hat Eva auch keinen Apfel gepflückt, sondern ihrem Adam einen Capstan verabreicht. Und der wird wohl damals ähnlich bewußtseinserweiternd gewesen sein, wie der angebliche Apfel, der zu diversen Erkenntnissen bei den beiden geführt haben soll. Erstmal feststellbar ist er so um 1893-1895 und der Hersteller waren  W.D. & H.O.Wills. Die hatten schon seit ungefähr 1790 eine Vorgeschichte, diverse Beteiligte, Umfirmierungen, bis dann endlich 1830, also gut 65 Jahre bevor sie den Capstan schufen, die Firma entstammt, die dann diesen Tabak „erfunden“ hat.

Da sehr viele halbgare Informationen in Foren und Blogs unterwegs sind, habe ich mir das Buch W.D. & H.O. Wills and the development of the UK tobacco Industry: 1786-1965 (Economic History) zugelegt, eine wissenschaftliche Auftragsarbeit, die das Unternehmen in Auftrag gegeben hat. Eine schöne, sehr persönliche Website ist auch diese hier, die allerdings das Thema Pfeifentabak völlig außer acht läßt. Wenn Sie weitergehende Informationen benötigen und Ihnen die folgenden nicht ausreichen sind, so fragen Sie mich einfach. Ich kann Ihnen aber versichern, der Tabak und seine beschriebenen Eigenschaften werden sich dadurch nicht ändern.

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1)WD&HO Wills · 2) Orlik · 3) MacBaren

Um die Wende des 19. Jahrhunderts befanden sich die britischen Tabakmanufakturen in einem harten Wettbewerb mit der American Tobacco Company. Um dem zu begegnen, schlossen sich W.D. & H.O. Wills, John Player & Sons und ein Dutzend weiterer Hersteller zur Imperial Tobacco Company (of Great Britain & Ireland) zusammen, die lange als Imperial Tobacco Limited bestand und seit 2016 Imperial Brands Plc heißt, allerdings nur noch Zigaretten herstellt.

Auch Ogdens, der Hersteller der berühmten Flakes Gold Block (1902) und St.Bruno Flake (1896) aus Liverpool, schlupfte unter die Decke von Imperial, wurde allerdings im Jahre 19xx vollständig aufgegeben. Im ehemals imposanten Büro- und Fabrikgebäude werden zukünftig luxuriöse Appartments zu erwerben sein. Ein ähnliches Schicksal erfuhr 1904 der Three Nuns, der nicht mehr von J&F Bell in Glasgow, sondern von der  Mitchell & Sons Tobacco Company (geschlossen 1980) hergestellt wurde, die ebenfalls zu Imperial gehörte. Nach deren Schließung  wurden die Nonnen dann von Odgens hergestellt, bis auch diese Fabrik geschlossen wurden. Erst 1991 finden wir den Three Nuns wieder, bei Orlik. Als dann die Will`s Factory geschlossen wurde, traf es auch den Capstan: Imperial hat die Produktion an Orlik lizenziert, der wurde dann ebenfalls ab 1991 in Assens/ Dänemark hergestellt. 2012 hat MacBaren den Three Nuns und den Capstan nach Imperial Lizenz hergestellt und dabei die STG Rezeptur übernommen. 2015 erwarb MacBaren schliesslich die Namensrechte an allen Imperial Brands, so daß die Dänen nun die Eigentümer der Brands sind.

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Das Hauptgebäude von WD & HO Wills in den 1930er Jahren, imposant und der Bedeutung der Tabakindustrie entsprechend
copyright by Messrs. Mardon, Son & Hall.

Soweit zur Geschichte des Capstans, an vielen Stellen im Web nachzulesen. Da ich im Besitz von Capstan Navy Cut Blue aus drei unterschiedlichen Produktionen bin, bietet sich ein Vergleichsrauch an. Immer mit dem Gedanken, dass so etwas eigentlich obsolet ist, wenn lediglich noch der aktuelle, von MacBaren gefertigte Tabak erhältlich ist. Wem nutzt es, wenn mir der Orlik Capstan um Längen besser als selbst der noch in Bristol von Wills hergestellte bekommt? Dessen Zustand ist zwar gut, aber vermutlich ist sein Geschmack durch das Alter nicht mehr der originäre. Aber auch der neuzeitliche MacBaren Capstan bleibt -um einiges realistischer, da zeitnäher – hinter dem Orlik zurück. Orlik soll übrigens die technische Ausrüstung von Wills übernommen haben, das ist aber nicht belegbar. Und ob die dann zu MacBaren wanderte, ist unwahrscheinlich. Denn MacBaren ist bestens und sehr modern ausgestattet.

capstan001-1000Der Capstan ist ein Virginia Flake, der aus verschiedenen flue-cured Virginias besteht, die bis zu 3 Monate gepresst und so fermentiert werden. Orlik und jetzt MacBaren verwenden ein dezentes top flavour, die sich naturlich unterscheiden und so den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Versionen ausmachen. Deshalb können beide Capstan Versionen geschmacklich überhaupt nicht identisch sein, selbst wenn die gleichen Basistabake verwendet würden. Und jetzt wird es noch eimal spannend.

Der mir vorliegende Wills Capstan ist noch ein mit Cumarin versetzer Tabak, der reichlich von der Tonka Bohne gekostet hat. In Europa seit langen Jahren verboten, da Cumarin -trotz Verwendung in der Heilpraxis – als toxisch gilt und Lebensmitteln nicht zugesetzt werden darf. Später hat Imperial offensichtlich die Tonka Bohne in einem eigens entwickelten Flavour verwendet – dem Stanuned. In dem hier einzusehenden Bericht, der auch interessanterweise tiefen Einblick gewährt, in welchen Verpflechtungen innerhalb von BAT und Imperial der Capstan produziert wurde. Ich kann hier nicht näher darauf eingehen, ansonsten komme ich nie zum Test des Tabaks.

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Capstan „Original“ – von Wills, ca. 1970, gut konditioniert und mit Stanuned als Flavour -Cumarin/Tonka – Made in England

Also: obwohl fast alle Händler davon sprechen, dass es sich um einen „naturbelassenen“ Virginia handelt, ist das nicht richtig. Denn – und ich spreche jetzt von der aktuellen MacBaren Version- gibt es auch hier ein leichtes Flavour. Ob das jetzt aus natürlichen Aromen besteht, oder wie weiland bei dem Vor-Orlik Tabak aus dem teils künstlichen Stanuned- weiß ich nicht.

Aber das macht eben auch den MacBarens aus: im Geschmack und im Rauch ist er „naturrein“, ein wenig Heu, ein wenig Wiese, eine ganz, ganz leichte Süße und ein fantastischer Abbrand. Läßt man das ganze, eigentlich überflüssige Geschreibsel über die Capstan-Vergangenheit unbeachtet, so ist der Capstan Navy Cut – MacBaren Release- ein sehr sauber produzierter feiner Virginia, der sich durch weniger auszeichnet, als durch gar nichts. Eine Empfehlung für diejenigen, die mit Ausflügen in die Virgina-Flake Welt gerade erst beginnen, obwohl die mit dem Huber Virginia Flake (8,60€!) oder gar mit dem MacBaren Pure Virginia (11,00€) besser bedient sind. Flake-Raucher wie ich, die stets die Orlik Version in der Erinnerung haben oder diese von Zeit zu Zeit auch noch rauchen können, werden enttäuscht sein. Für sie ist der „neue“ Capstan (11,00€), immerhin seit fast 3 Jahren auf dem Markt, ein nett aussehender, sehr flach und eindimensional schmeckender Presstabak. Wäre da nicht der große Name, er bliebe weitgehend unbeachtet.

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Capstan „Imperial – Orlik“, 1994, Flavour von Orlik, kein Cumarin

Ganz anders die alte, nicht mehr erhältliche Orlik-Version, die Sammler vermutlich noch in großen Stückzahlen horten. Denn der Capstan gehörte auch bei mir zu den All-Day-Smokes und mußte, wie der Balkan Sobranie 759, wie Penzance und Escudo, immer in ausreichender Menge im „Lager“ vorhanden sein. Mein Bestand besteht zur Hälfte sogar aus der gebackenen Variante. Das ist ein Flake, kräftig, ein wenig „dunkel“ im Geschmack, geschmeidig -rund. Darüber liegt eine Virginia-Süße, die teils naturrein, teils aus dem Flavouring stammt. Niemals unangenehm. schlichtweg ein sattes Raucherlebnis mit sehr englischer Grundnote. Alles, was der MacBaren Capstan missen läßt.

Dafür allerdings ist auch MacBaren berühmt: das Tabakbild. Eine Flakescheibe schaut hier beim Orlik so akkurat wie bei den Svendborgern aus. Und damit beginnt ja bei jedem Tabak schon einmal der Genuß. Leider ist die kleine, längliche 50g direkt-bedruckte Dose verschwunden, wie überall.

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Deutlich sichtbare Unterschiede: links oben das MacBaren Release-der aktuelle Capstan, rechts oben der Orlik aus dem Jahre 1992, unten der Capstan von WD & HO Wills, ca 1970

Bodo Falkenried

exemplarischer Niederrheiner, seit über 55 Jahren in München daheim, genauso lang Pfeifen- und Tabaksammler, versessen auf Musik, Literatur und andere Künste. Unternehmer, Segler, Reisender [..unser Mann in Asien]. Intensiver Marktgeher, immer an Feuer & Herd, sofern in der Nähe.  

7 Antworten

  1. Karl Hirsch sagt:

    Resümee: Also ein weiterer Abgesang auf alte Zeiten.

    Man glaubt. der Kunde kauft nur mehr mit dem Auge, zumindest wird es anscheinend so von den Produzenten angedacht. Wenn die Dose in etwa gleich ausschaut, dann ist es egal, was dann drin ist. Steht ja Capstan drauf, muss also einer sein.

    Ohne mich jetzt zu echauffieren: Warum ist es denn eigentlich so wahnsinnig schwierig, sich einwenig mehr Mühe mit der Rekonstruktion alter Tabake, oder vielmehr auch nur mit der Aufrechterhaltung der Tradition, zu geben? Müssen überall die ahnungslosen Orchideenbachelors ihre Finger drin haben? Einen gestandenen Tabakkenner anzustellen (oder angestellt zu lassen) war wohl zu teuer, oder der neu eingestellten visionären situationsflexiblen Oberbachelororchidee als Berufsbild völlig unbekannt.

    Oder ist soviel Schimpfen garnicht der Sache wert? Wahrscheinlich. Das Wikingerle schweigt. Für eine Sekunde glaubte ich es zum ersten Mal lächeln zu sehen.

    • Servus Karl, es sind ja nur die Älteren unter uns, die zwengs der glorreichen früheren Tabaklandschaften ständig so rumzetern, mache ich ja auch. Ach, was haben wir doch alles verloren an wundervollen, unwiederbringichen Geschmäckern und jetzt spüren diese jungen Ignoranten das Resultat: nun gibt es nur noch zwei Tabake in Europa, einen roten und einen blauen, beides Hocharomaten aus den östlichen Staatsgebieten. Vor allem wir beide wissen: all die komischen Brands wie HU Tobacco, Kollage & Kropp und die zwei aus dem gesteinigten Königreich sind nur Fakes, Chimären, deren Existenz ins Fabelreich verortet werden muß.
      Und weil ich gestern zu mitternächtlicher Stunde Deinen Kommentar gelesen habe und mir völlig fad wegen der „transatlantischen Schildbürgerwahlen“ geworden war und weil mir danach war, habe ich einen alten Capstan geöffnet. Fuideibl hat der grauslig geschmeckt. Diesmal.

      • Karl Hirsch sagt:

        Stimmt. Wir leben in einer Zeit, wo die Jüngeren schon glauben, Bananen müssen grün sein, Erdbeeren sauer, Äpfel nach nichts schmecken und Pfirsiche gehören zum Steinobst weil sie steinhart sind. Woher sollen die dann auch wissen wie ein richtiger Pfeifentabak einmal geduftet hat?

        Weil Du dezent auf unser Alter hingewiesen hast, eine kleine Anekdote aus meiner Jugend, just aus der Zeit, als mich mein Großonkel mit seinem Pfeifenrauch zur Nachahmung animiert hat. Sein Leibtabak war eben dieser Capstan. Wie schade, daß es diesen nicht bei uns zu kaufen gab. Eines Tages erwischte ich den guten Mann dabei, wie er seelenruhig aus einem roten Pouch ein paar Portionen in die Capstandose nachfüllte. Landtabak spezial, der österreichische Urahne des Siedlertabaks. Meine erste Begegnung mit dem Capstan war also gar keine solche.

        Kurze Rückkehr zur nüchternen Diskussion: Der Beschreibung nach muß der neue Capstan so schmecken wie der „gelbe“ Capstan, der immer etwas leichtere Bruder des Blauen. Frage ich mich: Wie verdünnt ist jetzt wohl die Goldvariante?

  2. Bernd Fleischmann sagt:

    Während ich hier vor dem Computer sitze und genüßlich meine Peterson mit dem Capstan Blue genieße, frage ich mich, ob ich in der Pfeife etwas Schlechtes rauche. Mitnichten. Mir schmeckt der Capstan einfach, sei es wegen seiner malzigen Süße oder aber auch wegen der Beibehaltung des Geschmacks bis zum letzten Krümel. Obwohl ich schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel habe, sind mir die früheren Versionen der Tabaks unbekannt. Das kann wahrscheinlich mein Glück sein, denn das Bessere ist bekanntlich des Guten Feind. Und so kann ich auf Grund des ausgezeichneten Reviews nur soviel sagen: Wenn der Capstan Blue meiner Meinung extrem gut ist, dann konnten die früheren Versionen nur göttlich sein. Hilft mir aber jetzt auch nichts mehr.

  3. Bernd Fleischmann sagt:

    Durch die freundliche Vermittlung des Reviewschreibers konnte ich glücklicherweise noch fünf Dosen des Capstan in der Orlik Version ergattern. Und tatsächlich, diese Version hat gegenüber der aktuellen einige geschmackliche Vorzüge mehr. Er ist dunkler, mit einer gewaltigen malzigen Süße und bis zum Ende mit einer nicht nachlassenden Geschmacksintentsität. Ob das jetzt an der Orlikmixture oder an dem Alter des Tabaks liegt (die fünf Dosen stammen von 2012) kann ich letztendlich nicht beurteilen. Auf jeden Fall werde ich der Orlik Version nachtrauern, denn ich merke jetzt schon, daß der Vorrat sehr schnell schmilzt.

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