Seife aus Aleppo – eine Konstante im Chaos
Aleppo ist (war?) die zweitgrößte Stadt nach Damaskus in Syrien und scheint -so unfassbar es ist – in unseren Tagen nicht mehr als die fast dreitausendjährige akkadische Polis bekannt zu sein. Die geballte Kraft (Last) unserer heutigen Medien bringt uns das Desaster und die menschliche Tragödie der ehemals über zwei Millionen Einwohner tagtäglich ins Wohnzimmer und stumpft uns ab. Jeden Tag Chaos heißt jeden Tag weniger Anteilnahme. Ein troglodyter Diktator, menschenverachtend, entmenschtlicht und nur auf seinen Machterhalt und die Rettung seines Clans bedacht, morded ein Volk unter unseren Augen. Wir schreiben das Jahr 2016, A.D., wohlgemerkt, nicht AC.
Erstmals hörte ich den Namen Aleppo durch Karl May. Als zehnjähriger begann ich mich für dessen Orientzyklus zu begeistern (Band 1-6). Einer der Protagonisten der grandiosen, abenteuerlichen, aber leider ach so fiktiven Reisebeschreibungen, Sir David Lindsay, litt eine ganze Zeit an der Aleppo-Beule, eine Infektion, die es auch heute noch gibt, verursacht durch den Stich der Sandmücke. In den 1970er Jahren besuchte ich dann Aleppo, aus dem Libanon anreisend, da mich die wundervollen Altertümer anlockten, nun teilweise zerstört durch die Bürgerkriegsparteien und deren Alliierte.
Trotz des heutigen, täglichen Horrors gibt es in Aleppo ganz kleine menschliche Lichtblicke, die auch uns beeindrucken und berühren sollten. Vor einigen Wochen saß ich in meinem Büro in Singapore, die morgentliche Lektüre ist die digitale Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Im SZ Magazin, Teil der Freitagsausgabe, entdeckte ich einen elektrisierenden Bericht über die Seifenherstellung in Aleppo. Jawohl, in Aleppo, einem der modernen Sinnbilder für Chaos, Leid und Zerstörung. Seife aus Aleppo ? Du meine Güte, wer braucht so etwas? Der Autor hat wohl eine Themenlähmung, so dachte ich. Am Ende des Artikels saß ich sprachlos da. Zurück im immer noch sicheren München, scheint mir Ghaleb Chite nicht nur ein Held, ein Unternehmender im gleichen Geiste, mit gleichem Antrieb zu sein, nein, fast ein Bekannter. Was war passiert?
Während Bomben und Raketen auf die syrische Stadt Aleppo niedergehen, produziert Ghaleb Chite dort weiter eines der ältesten Naturprodukte der Welt: Aleppo-Seife. Und auch in Deutschland steigt die Nachfrage. Bitte lesen Sie den mitreißenden Artikel in der SZ von hier.
Nun hatte Aleppo plötzliches ein anderes Gesicht für mich und noch aus Singapore bestellte ich mir die Alepposeife von Ghaleb Chite beim Stuttgarter Onlineshop Zhenobya (auch Ladengeschäft in 70176 Stutgart-West, Johannesstrasse 60 ), den der ebenfalls aus Syrien stammende Nawras Al Machout betreibt. Mit großer Freundlichkeit und außerordentlich gutem Service. Was macht nun die Alepposeife so einzigartig? Zunächst einmal ist es eine Kombination aus erlesenen, völlig naturreinen Bestandteilen: Olivenöl und z.B. Lorbeeröl (20%). Vergegenwärtig man sich die Historie und die heutigen Umstände, unter denen die Seifenhersteller aus Aleppo dieses hervorragende Produkt herstellen, hat man das Gefühl, nicht nur für sich selbst etwas Gutes zu tun.
Etwas zur Geschichte der Seife, mit freundlicher Genehmigung von Zhenobya aus der Webseite entnommen, die auch viele weitere, kulturelle Informationen aus Syrien bietet: Aleppo Seife war die erste feste Seife, die jemals hergestellt wurde. Die Seifensiedereien in Aleppo werden oftmals in Familientradition geführt. Die Inhaltsstoffe und Produktionsprozesse haben sich seit dem 8. Jahrhundert wenig oder nicht geändert und werden bis zum heutigen Tag von Generation zu Generation weitergegeben. Aleppo Seife ist ein einzigartiges Produkt aufgrund der Tatsache, dass es die ältesten möglichen Herstellungsmethoden (hauptsächlich Handarbeit) mit den natürlichsten Inhaltsstoffen kombiniert. Farbstoffe, künstliche Aromen, Schaumstabilisatoren sind den Seifensiedern in Aleppo fremd: Sie können diese Segnungen der modernen Chemie in ihren mittelalterlich anmutenden Siedereien gar nicht verarbeiten und sie arbeiten nach überlieferten Rezepten. Diese Kombination aus „Geschichte“, Inhaltsstoffe und Herstellungsmethode macht Alepposeife zu einer einzigartigen Seife, verglichen mit allen anderen Seifen, die weltweit hergestellt werden. Die Seifenherstellung ist zurückzuverfolgen bis in die Zeit der Phönezier Diese entwickelten Seife wahrscheinlich im Nordwesten Syriens. Zu dieser Zeit war es nur eine einfache seifige Emulsion in einem halbflüssigen Zustand. Durch die Kreuzzüge wurde die Seife im ganzen Mittelmeerraum berühmt. Die erste Seife in Europa wurde im 12. Jahrhundert in Spanien, sowie in Italien und dann, in der Mitte des 15. Jahrhunderts, in Marseille – die Marseiller Seife – eine „Kopie“ der Seife aus Aleppo hergestellt. Zhenobya Link
Hallo Bodo,
exakt die Seife von diesem Händler benutze ich schon seit mehreren Jahren ausschließlich. Funktioniert von Kopf (haarlos) bis Fuß, auch als Rasierseife. Meine ursprüngliche Motivation dafür war Müllvermeidung. Ich habe mich seit dem Beginn des Krieges immer gefragt, wie der Händler an die Seife kommt und wie lange noch. Mit schlechtem Gewissen (dort sterben Menschen und ich horte hier Seife) habe ich mir inzwischen einen größeren Vorrat angelegt. Ich hätte nicht gedacht, dass die Seife mitten in Aleppo hergestellt wird. Meine Vermutung ging dahin, dass es irgend ein Vorort von Aleppo sein müsste, außerhalb des Kampfgebietes. Wenn ich mir nun überlege, wo die Seife tatsächlich herkommt, mit der ich mich heute morgen gewaschen habe, wird mir ganz anders. Danke für diese Informationen.
Ergebenst
Jens
Servus Jens,
das ist ja überraschend. Da treffen wir uns vor einiger Zeit zu einem anregenden, abendlichen Treffen in Istanbul, fast schon ein wenig zufällig, und nun benutzt Du schon lange vor mir die Aleppo Seife und auch noch vom selben Händler. Wenn da nicht mal Magie mitspielt.
Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es der Bevölkerung aktuell geht, nach dem all diese beteiligten Wahnsinnigen die Stadt weiterhin und sogar noch verstärkt zerbomben