Samuel Gawith | Perfection

Mit der Perfektion habe ich es persönlich gar nicht so. Perfektion ist die Suche nach den 100%. Wir alle wissen, spätestens seit Vilfredo Pareto (1848–1923), dass 80% des Ergebnisses mit einem Aufwand von 20% zu erreichen sind … umgekehrt bedeuten die letzten paar Prozent bis zur Perfektion den allergrößte Aufwand. Nach diesem Pareto-Prinzip zu leben, macht einen zum „perfekten“ Mittelmaß zum „mit-geringstem-Aufwand-irgendetwas-ausreichend-Macher“. Deshalb ist dieses Prinzip perfekt für amerikanische und amerikanisierte Vollpfosten, die nichts wirklich können, aber hocheffektiv blöd daherreden … Schreibe ich mich gerade in Rage? Kann sein. Da ist jetzt auch ganz viel Selbsthasskritik dabei. Fehlt es mir selbst doch oft an der Zeit, der Lust und auch am Fleiß wirklich 100% zu geben, um 100% zu erreichen.

Das schöne an der Kunst ist, dass man die letzten 20% manchmal geschenkt bekommt. Von den Musen, vom eigenen Genius vom Universum oder dem heiligen Geist … keine Ahnung von wem, aber manchmal gelingt einem etwas, was man im Grunde nicht verdient hat. Das ist zum einen tröstlich aber zum anderen auch Futter für den Schweinehund, denn lieber hofft man, denn zu arbeiten … Aber ich werde mich bessern, ich verspreche es, hoch und heilig bei den Musen, der Sarasvati (meiner indischen Lieblingsgöttin) und dem heiligen Aloisius.

Was erwartet man nun von einem Tabak oder allgemein einem Produkt, welches „Perfection“ heisst? Da liegt die Latte hoch, oder? Je höher die Latte, desto wahrscheinlicher reisst man sie, vor allem wenn man nur zu 80 Prozent anläuft. Was soll ich sagen, ich war sehr skeptisch, als ich die Dose beim Huber im Tal erworben habe. Eigentlich gefiel mir nur das Zamperl (Mundart: Hund), die hübsche hellblaue Farbe und die Tatsache, dass es über den Perfection von Samuel Gawith noch kein Review hier auf dem Blog gibt.

Die Dose öffnete ich gleich noch im Geschäft und wie meistens bei etwas weniger verbreiteten Tabak, steckte jeder der Anwesenden seinen Riechkolben in die Dose und nahm sich bei Gefallen, eine Füllung in seine Probierpfeife. Ich muss irgendwann noch versuchen dahinter zu kommen, warum immer, wenn ich einen neuen Tabak kaufe, alle auf einmal eine Liebe zu Giant-Pfeifen entwickeln – ein merkwürdiges Phänomen … Ich nahm mir also die paar Brösel, die noch in der Dose verblieben waren und stopfte mir eine Dunhill Nummer 1 zur Hälfte.

Der Tabak war perfekt konditioniert und ließ sich perfekt in die Pfeife stopfen und perfekt anzünden. Er brannte auch perfekt, absolute Perfektion bis hier her.
Es gibt Menschen, die empfinden Perfektion als langweilig und suchen nach dem Unperfektem, den Ecken und Kanten, dem Besonderen. Ich denke mal, die Suche nach zu feuchtem und schwer entzündbaren Tabak wird von wenigen betrieben, das ist etwas, was man einfach voraussetzt, was man glaubt erwarten zu können.

Beim Perfection handelt es sich um einen „milden Engländer“ etwas Latakia, mehr als eine Prise aber auch keine Balkanportion. Perfekt ausgewogen? Ja, irgendwie schon. Die Balance zwischen Virginias und Latakia stimmt. Aber? Keine Jubelrufe? Keine elegischen Ausführungen? Nein, leider nicht. Es ist ein toller Tabak, gute Qualität, 1a Geschmack, aber doch lässt er mich nicht jubeln. Vielleicht ist er doch zu perfekt? Ich würde ihn jedem empfehlen, der keine oder wenig Erfahrungen mit englischen Tabaken hat. Ich würde ihm sagen, dass das der perfekte Engländer ist, ein wohlschmeckender und einfach zu rauchender Pfeifentabak. Aber einem Kenner würde ich ihn niemals empfehlen.

Ist vielleicht Perfektion nur etwas für Anfänger? Liebt nur der erfahrene Connaisseur das Raue, das Extreme, das Skurrile kurz das Unperfekte?
Mir scheint, ein wenig könnte das so sein…

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Alexander Broy

Alexander Broy ist Künstler, Grafiker und YouTuber. Mehr zu sehen, hören oder lesen gibt es auf seinem Blog Künstlertagebuch. | Abonniere auch seinen NEWSLETTER

10 Antworten

  1. Peter Hemmer sagt:

    Das Problem an deinem Perfection ist, dass er alles andere als perfekt ist, denn der Perfection ist eigentlich ein seltenes Exemplar einer aromatisierten Latakia-Mischung, in diesem Fall mit Vanille! Nur fehlt dem Tabak in deiner Dose die Vanille genauso wie die Schokolade in deinem CF Flake fehlte! Ich weiß nicht, was da in Kendall passiert ist? Verbuchen wir’s unter üblicher Schwankung! Dieser Tabak geht eigentlich ganz anders, aber dass bei dir nur eine milde englische Latakiamischung übrig geblieben ist, entspricht vollkommen dem Tabak in deiner Dose. Das Review ist gut – der Tabak ist verstörend! Und soo teuer ist Vanillearoma ja nun auch nicht, als dass man darauf verzichten müsste… Seltsam!

  2. Tobias Schneider sagt:

    Als würde man an der eigenen Geburtstagsfeier direkt die geschenkte Flasche Whisky öffnen- Glück wenn da einem wenigstens eine UK-Dosis zum probieren bleibt.

    • SG ist der Weltmeister bei sogenannten „Chargenschwankungen“, die Beispiele sind Legion. Alexander Broy muß einfach mal 2,3 weitere Dosen kaufen.

      • Tobias Schneider sagt:

        Schon ein spannendes Thema wie so etwas passieren kann. Ich bin bisher verschohnt geblieben- habe bisher aber auch nur den Cabbies Mixture oder den Full Virgina Flake wiederholt gekauft. Für die anderen Versuche meinte ich bessere Alternativen zu haben.

  3. Also – den Mißbrauch der ABC Analyse sehr ich Dir nach, obwohl sie zur Errechnung eines Erfolgsquotienten für Dein künstlerisches Arbeiten durchaus hilfreich sein könnte. Dein Artikel bestärkt die Vorbehalte, die ich immer schon gegen diesen Tabak gehegt habe. Zum Glück hast Du eine Deiner unsäglichen Maiskolben Dinger verwendet. Es fehlt nur noch die Erwähnung, welches Bier oder welches Destillat Dir über dieses Rauchopfer hinweg geholfen hat.

  4. Vielleicht bin ich ein Bisserl froh, dass die Chargenschwankung mich vor der Vanille bewahrt hat. Vanille muss in die Kipferl, nicht in die Pfeife …

  5. Peter Hemmer sagt:

    So schlecht ist die Vanille im Perfection nicht, weil der Tabak an und für sich sehr gut balanciert ist! Das interessante ist aber, dass der Tabak, auch wenn er als „milder Engländer“ beschrieben ist, mit der offensichtlich fehlenden Aromatisierung immer noch ganz passabel funktioniert?! Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie unsere hiesigen aromatisierten Rauchpappen schmecken, wenn man die Aromatisierungen einfach mal wegliesse? So gesehen ist es eigentlich ein Zeichen hoher Tabakqualität, dass ein gut rauchbarer Tabak bleibt und nicht nur billige Aromenträger, die für sich eigentlich vollkommen uninteressant sind!

  6. Andi sagt:

    So doll fand ich die Vanille nicht. Vielleicht sollte ich auch mal Alexanders Versions probieren 😛 Ich habe für mich festgestellt, dass ich einfach generell ein Problem mit den S&G-Tabaken habe. Ich würde sie ja gerne mögen wollen (einer der letzten kleiner Hersteller, noch dazu aus dem malerischen Eck in England, und England und das Eck mag ich sehr), aber irgendwie werde ich nicht warm. Mal ist das Zeug zu feucht, dann gefällt mir die Mischung eigentlich doch nicht, etc. Es ist halt ein bisserl wir oft bei den Briten. Ich würde auch gerne einen Defender fahren, aber ich sitz zu ungern im Nassen und ein Auto muss halt einfach laufen, ich bin weder fähig noch Willens immer eine halbe Werkstatt vorzuhalten. Den einzigen S&G, der mich bisher immer überzeugt hat, den haben die eingestellt (genau wie den Defender in seiner eigentlichen Form inzwischen auch). Aber ein gewisser Vorrat an Scotch Cut ist mit gottseidank noch verblieben. So isses halt, viel schönes dabei auf der Insel, aber ganz gescheit machen sie is meiner Meinung nach dann oft doch nicht (von dem nicht gescheiten Briten-Thema derzeit fang ich jetzt gar nicht an). Achja: Es bleiben Schuhe von da, die gehen eigentlich immer.
    Andi

    • Servus Andi, ich verstehe, was Du meinst, bei mir gehen nicht einmal die Schuhe. Die müssen aus Budapest kommen (e.g. Laszlo Vass). Aber Tweeds und alles rund um Harris mag ich nicht missen, vom Single Malt einmal abgesehen. Und die hevorragenden Gastro-Reiseberichte von Rick Stein aus Cornwall (jetzt zum größten Teil in Astralien) ebenfalls nicht. Und auf Burberry, Barbour und Belstaff auch nicht. Keinesfalls beipflichten will ich Dir bei der generellen „Verdammnis“ von SG. Auf den Full Virginia Flake, den Best Brown, Best Brown No.4, Cabbies Mix, St. James Flake und einige mehr will ich ebenfalls nicht verzichten. Man kommt mit den Unzulänglichkeiten von SG recht gut zurecht, wenn man sich auf den wundervollen Geschmack konzentriert. Ist er zu feucht, so laß ihn ein wenig geöffnet stehen, sind die Flakes mal wieder in Brikettform in der Dose, dann benutze Dein Opinel oder den White Hunter. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg.

  7. Karl Hirsch sagt:

    Welch Zufall. Wenige Tage vor Erscheinen dieses Reviews hat mein Auge im Zuge einer Platzschaffungsaktion zwei vor mindestens 15 Jahren gekaufte Perfectiondöschen gestreift und diese in noch entferntere Tiefen der Schublade verschieben lassen.
    Weils mich jetzt aber selber wunderfitzt (und ich Bodo immer gerne widerspreche) habe ich eine der beiden Dosen wieder hervorgekramt und geöffnet. Erste Geruchsimpression dieser alten Charge: Latakia, Latakia, Latakia, wohin die Nase riecht, aber keinerlei sonst was. Zum Rauchen eigentlich noch zu pappig, hab ich’s trotzdem versucht, und aus den paar Paffern, die sich vor dem zu erwartenden Verlöschen ausgingen, glaubte ich dann sowas wie einen sanften Beigeschmack zu schmecken und zu riechen, wie in Peter auch als willkommen bezeichnet. Auch beim zweiten Anzünden war der marginale Zusatzduft noch da. Nennen wir diese Nuance als Arbeitshypothese einmal Vanille.

    Allgemein habe ich das seinerzeitige Raucherlebnis, als der Tabak das erste Mal geraucht wurde, als ähnlich wie im Review und den Kommentaren beschrieben in Erinnerung. Nett, aber obsolet. Wieso dann 2 Dosen übrig? Irgendwie muß er mir anfänglich ja doch gefallen haben.

    Wenn der Tabak konditioniert ist – auf Fön verzichte ich ausnahmsweise – probiere ich noch einmal und lasse hier eine kurze Notiz folgen.

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