Keith Jarrett`s zeitlose Suiten – Staircase

Cat Stevens hat ein neues Album herausgebracht, King of a Land. Als langjähriger Folger seiner herausragenden Alben der 1970 und 80er Jahre habe ich den Sprung über die überraschend erschienenen CDs An other Cup (2006), Roadsinger (2009) und Tell ‚Em I’m Gone (2014) mitgemacht, bei der Neuaufnahme vom grandiosen Tea for the Tillerman aus dem Jahre 1970 bröckelte erstmals meine „Zuneigung“ und jetzt, ja jetzt kann er mir mal im Mondschein begegnen. Nicht einmal, wenn er Moonshadow vortragen würde, bliebe ich stehen. King of a Land ist langweilig, hat keine Lieder, keine Melodien mehr – und soll wohl nur die Kasse irgendeiner religiösen Gemeinde füllen. Auch als treuer Anhänger kann mir ein solcher Schrott gestohlen bleiben. Also mußte ich eine andere Wahl treffen für das Album des Monats, eine hoffentlich bessere. Es war einfacher, als ich dachte.


Über Keith Jarrett allerdings kann ich nicht diskutieren, zu sehr bin ich in sein Werk regelrecht vernarrt. Nicht verwunderlich, daß ich alle, auch wirklich alle jemals seit 1966 veröffentlichen Alben in meiner Sammlung habe. Die, als sogenannter „Sideman“, im Trio oder anderen Formationen und als Solist aufgenommenen. Und natürlich bin ich zu kritischer Betrachtung seines Werkes ungeeignet und wohl unfähig, man könnte mich in diesem Fall auch betriebsblind nennen.


Gerade in aller Munde: die bereits 1992 eingespielten und erst jetzt bei ECM erschienenen sechs „Württemberg Sonaten“ von Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788). Dem Bach Sohn, der zu Lebzeiten seinen großen Vater Johann Sebastian in der Publikumsgunst weit überragte, heute wurde man ihn wohl als Superstar bezeichnen. Dennoch ist sein Werk im 19. und 20. Jahrhundert nur noch wenig gespielt worden, das hat sich zum Glück wieder geändert und es gibt hervorragende Veröffentlichungen von Musica Antiqua Köln, Akademie für Alte Musik Berlin, von Bezuidenhout, Andreas Staier mit dem Freiburger Barock, von Daniel Müller-Schott, Viktoria Mullova und zahlreichen anderen. Es lohnt, den aktuellen Katalog zu durchforsten.


Nun aber will ich nicht die Württemberg Sonaten von Keith Jarrett vorstellen, daß geschieht gerade auf allen Plattformen und mit einem äußerst positiven Medienhype, sondern ein Album, das ich mir immer wieder anhöre, weil man darin richtig versinken kann, 1976 ungeplant und spontan aufgenommen im Pariser Studio Davout – demnach kein Live-Album –  und 1977 erschienen, immerhin vor 46 Jahren: Staircase.

Vier Suiten für Solo Piano – Staircase, Hourglass, Sundial und Sand – nehmen für mich selbst im an „Lichtwerken“ nicht gerade armen Jarrett Kosmos eine Sonderstellung ein. Man kann sie als einzelne Suite anhören, ihre Magie aber entwickeln sie, wenn Zeit und Stimmung es ermöglichen, das gesamte Werk anzuhören.

Das vierte von Keith Jarretts Solo-Klavieralben bewegt sich weg von der pulsierenden melodischen Grundstimmung der Vorgänger und ist alles andere als „funkig“ wie diese. Nachdenklich, suchend, ein wenig ausufernd verstreut? Mag sein, aber vor allem sind es wundervoll romantische Suiten.

Die heute im Radio angesagten, meistens unsäglichen „New Age“ Pianisten haben hier vielleicht ihr Vorbild für das von ihnen langatmig, wenn auch gefühlvoll verursachte Ausufern von Melodien gefunden, leider zuhauf in fürchterlicher Ausprägung, höchstens tauglich für eine Abspielzeit von 2-3 Minuten à la Klassik Radio oder als Fahrstuhlunterhaltung…..

Staircase aber ist kein Jazz und schon gleich gar nicht New-Age-Musik. Das ist Klaviermusik!  Vielleicht würden heute Chopin, Schumann oder Schubert so etwas komponieren, wobei solche Gedanken zwar legitim sind, aber überflüssig. Denn deren Kanon ist vollständig, abgeschlossenen und Maßstab und Sinnbild für Klaviermusik. Nichts hinzuzufügen und schon gar nicht zu verbessern. Staircase enthält einige von Jarretts schönsten und erhabensten Melodien. Das Spiel ist lyrisch und bewegend, besonders bei den Höhepunkten des Albums, Staircase Pt. 1+3, Hourglass Pt. 2, und Sand Pt. 3.

Staircase ist ein wunderschönes, nachdenkliches und romantisches Album. Nehmen Sie sich die Zeit für ein überragendes 75 minütiges Musikerlebnis, von CD oder Vinyl.

PLATTENSPIELER


Keith Jarrett Archiv – 1966-2022

 

 


Bodo Falkenried

exemplarischer Niederrheiner, seit über 55 Jahren in München daheim, genauso lang Pfeifen- und Tabaksammler, versessen auf Musik, Literatur und andere Künste. Unternehmer, Segler, Reisender [..unser Mann in Asien]. Intensiver Marktgeher, immer an Feuer & Herd, sofern in der Nähe.  

2 Antworten

  1. Robert Morawa sagt:

    Vielen Dank Bodo. Oh ja. Starcase ist ein wunderschönes Album. Seit Mitte der 90er Jahre in meiner Sammlung.
    Angeregt durch die Jazz und Fusion Vinyl-Sammlung meines Schwagers (u.a. auch Alben von Keith Jarrett) war das mein erstes Album von Keith und nicht das Köln Konzert ;-), das ich selbst gekauft habe.
    Köstliche Erinnerungen kommen beim Lauschen der Musik wieder hoch.

    • Lieber Robert, und dann noch eine Deiner außergewöhnlichen Cocktail Kreationen dazu …. und der Konzertabend ist perfekt.
      Da ich im Vergleich zu Dir über die Gnade einer geringfügig 🙂 früheren Geburt verfüge, gingen bei mir den Staircase LP Facing you, Solo Bremen-Lausanne, Köln Konzert, Survivor Suite und Arbour Zena voraus, bevor Staircase auf dem Plattenteller drehten und dann der Automatismus der manischen Sammlungs-Ver- und Auffüllung vorher, nachher, links und rechts begann.
      Hält unverändert an, wie man an den CPE Bach CD sehen kann.

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