Ägyptische Nächte
Schmerzhaft ist die Erkenntnis über die Veränderungen in der arabischen Welt, präziser dem Maghreb, dem Nahen und Mittleren Osten, von Teilen der Levante. Reisende wie ich, die diese Regionen seit den 1970er Jahren immer wieder durchquert haben, die über Freundschaften gebieten, die moderne Menschen heute schnöde als Netzwerk bezeichnen würden, ohne zu wissen, worin der Unterschied liegt, haben vielfach ein wehmütiges Gefühl, denken sie an vergangene Dekaden. „Früher war alles besser“ ist selbstredend ein Euphemismus und alles andere als wahrhaftig. Und dennoch gefallen wir uns in dieser Meinung, geniessen das Wissen über die jüngere, unwiederbringliche Vergangenheit.
Seit langem liegt ein gutes Dutzend Bücher von arabischen Schriftstellern, die ich hier vorstellen wollte, auf einem Bücherstapel. Allein, es fehlte bisher an der Zeit, der Muße und vor allem an der richtigen Stimmung.
Abdulrachman Manif, Nedim Gürsel, Orhan Pamuk, Ahmed Hamdi Tanpinar, Thorkhild Hansen, Elsa von Kamphoevener, Mirza Abu Taleb, Slatin Pascha und Winston Churchill sind mit Romanen, mit Reise-
beschreibungen und Biographien, mit ihren persönlichen Schicksalen, heute noch gegenwärtig. Sie halten sich wie zahlreiche andere in meinem osmanisch / arabischen Bücherschrank auf. Über die aber möchte ich heute nicht schreiben, sondern habe mir mit Alaa-al Aswani, Nagib Machfus und Waguih Ghali drei herausragende ägyptische Schriftsteller ausgesucht, die ägyptisches Leben zu unterschiedlichen Epochen des 20ten Jahrhunderts faszinierend und unterhaltsam schildern. Nicht das heutige, das oftmals fehlgeleitete, das gebeutelte und ausgebeutete, der Spielball dummer, verbrecherischer Mächte, sondern das romanhafte, glamouröse, nicht immer wirklichkeitsgetreu Geschilderte aus einer für den westlichen Reisenden so exotischen Welt. Die glorifizierte Epoche nach dem Ende des osmanischen Reiches, als es noch einen König gab.
Alaa al-Aswani (1957) ist einer der bedeutendsten Autoren in Ägypten, lebt und arbeitet in Kairo als Schriftsteller, Journalist und Zahnarzt. Sein Erstlingswerk, der Jakubjian – Bau, wurde zu einem internationalen Bestseller und zwischenzeitlich verfilmt.
Der Jakubijan-Bau – 2002
Alaa al-Aswanis Roman stellt vieles dar, was es in Ägypten gibt, worüber aber nicht häufig – und eigentlich nie in dieser Direktheit – gesprochen wird. Da kommt der junge Mann nicht an die Polizeischule, weil sein Vater nur Türhüter ist. Da hält sich der wohlhabende Journalist einen armen Oberägypter als Bettgenossen. Da predigt der eine Geistliche für die Regierungspolitik, der andere für den Terror. Da bereichern sich manche schamlos mit den zweifelhaftesten Geschäften. Da wird das junge Mädchen, das für seine Familie sorgen muss, von allen Arbeitgebern systematisch belästigt. Da träumt der ehemalige Aristokrat von vorrevolutionären, besseren Zeiten. Da wird im Bereich der Politik geschmiert, geschnüffelt und gefoltert. Da wird eben das tägliche Leben Ägyptens gezeigt. Opulent, in bunten Bildern beschreibt al-Aswani das vornehme Kairo, das dreckige, Religion, Politik, Sex und Liebe, Terror.
Lenos Verlag
ISBN 978 3 85787 381 2
Der Automobilclub von Kairo – 2013
Ende der 1940er Jahre herrschen im Automobilclub von Kairo unter den surrenden Ventilatoren Extravaganz und Dekadenz: Paschas, Monarchen und Diplomaten gehen ein und aus. Auch der König zählt zu den Stammgästen, er kommt regelmäßig zum Pokerspielen und sucht die schönsten Frauen für die Nacht. Den Reichen zu Diensten steht eine Armada von schlechtbezahlten, schikanierten Dienern, Kellnern und Köchen – bis sie den Aufstand proben. In seinem Roman ‚Der Automibilclub von Kairo‘ erzählt Alaa al-Aswani von Herrschaft und Diktatur und lässt einen Mikrokosmos lebendig werden, der für die Zerrissenheit eines ganzen Landes, seiner Heimat Ägypten, steht. Nuanciert und verblüffend nah an unserer Gegenwart. Skurril und märchenhaft bereits der Einstieg, wenn Kamil Gaafar und seine Schwester Saliha unerwartet dem Roman entsteigen und in die Wirklichkeit des Schriftstellers eintreten, plötzlich vor seiner Tür stehen, gekleidet im Stil der 1940er Jahren.
Verlag Fischer
ISBN 978 3 596 19013 3
Waguih Ghali (1927 oder 1929 -†1969)
Snooker in Kairo (1964) ist der einzige Roman dieses Autors, der durch Suizid 1969 in London aus der Welt getreten ist. Der ägyptische Ich-Erzähler Ram und sein Freund Font, ihre Familien und Freunde stammen aus der Oberschicht, sie sind eher europäisch, aber nicht arabisch geprägt und schon gar nicht religiös. Es ist das Kairo der 1950er-Jahre, das heute sehnsüchtig verklärt wird. Und es geht um die Liebe Rams zur Jüdin Edna. Waguhi Ghalis glänzend geschriebener, einziger Roman wurde während des arabischen Frühlings zu einem Fanal für die Demonstrierenden, weil das von ihm beschriebene Ägypten unter Nasser mit seiner Repression so sehr an die Gegenwart erinnert. Die jungen Leute verachten die dekadente Schicht, aus der sie teilweise kommen, und bleiben doch gefangen in den Annehmlichkeiten, die sie gewohnt sind, sie wirken orientierungslos und verloren, zynisch, empfindsam, komisch, anarchisch und voll Lebenshunger. „Snooker in Kairo“ zeichnet ein faszinierendes Zeitbild, mit trockenem Humor und voller Melancholie, und erzählt die aufwühlende, gefährliche Liebesgeschichte zwischen Ram und Edna.
Verlag C.H. Beck
ISBN 978-3406719028
Nagib Machfus (1911-†2006), in Kairo geboren und dort 94-jährig verstorben, zählt wie al-Aswani zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und glt als der Vater des ägyptischen Romans. Sein Lebenswerk umfasst mehr als 40 Romane, Novellen und Kurzgeschichten. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur.
Meine Liebe gilt den Bewohnern der Gassen. Nicht nur der alten Gassen von Kairo, sondern der Gassen der ganzen Welt. Nagib Machfus
Die Midaq-Gasse – 1947
Einst glänzte die Midaq-Gasse wie ein Stern in der Geschichte des mächtigen Kairo. Inzwischen sind die Arabesken am berühmten Kirscha-Kaffeehaus bröcklig und morsch geworden, aber immer noch ist die Gasse erfüllt vom Lärm ihres eigenen Lebens. Hier laufen die Fäden zusammen, hier strömen die Menschen ein und aus. Onkel Kamil, der Bonbonverkäufer, al-Hilu mit seinem Friseursalon, der alte Dichter, den keiner mehr hören will, seit es das Radio gibt, der stolze Chef der Handelsfirma, ja sogar der düstere Zita, der aus Menschen Krüppel macht, damit sie besser betteln können – sie alle spüren die neue Zeit, deren Rhythmus die Stadt erobert. Jeder sucht seinen eigenen Weg in die Zukunft. Umm Hamida, Chronistin aller Nachrichten und wandelndes Lexikon aller Missetaten, hat täglich mehr zu erzählen über die Geheimnisse dieser Gasse, denn eine Welt ist in Unordnung geraten. In diesem Roman wird eine Altstadtgasse von Kairo zum Mikrokosmos einer Welt im Umbruch.
Unionsverlag
978 3 293 20686 1
Karnak-Café – 1974
Alt und Jung, Arm und Reich, Männer und selbst einzelne Frauen treffen sich im Karnak-Café, angelockt vom guten Kaffee und der schillernden Kurunfula, einer ehemaligen Tänzerin und Besitzerin des Cafés. Sie erzählen aus ihrem Leben, teilen Freude und Leid und manch müßiggängerische Stunde. Als drei junge Stammgäste plötzlich verschwinden und später verstört zurückkehren, ist es vorbei mit der heiteren Kaffeehausatmosphäre. Aus der einstigen Oase der Kameradschaft wird ein Ort des Argwohns, an dem sich die alte Vertrautheit zwischen den Menschen nur schwer behaupten kann. Das Trauma der Niederlage Ägyptens im 6-Tagekrieg 1967 und die dadurch entstandene gesellschaftliche Veränderung sind eindrucksvoll auf diesen nur 120 Seiten eingeflossen. Wie auch die Midaq-Gasse für mich ein moderner Karawanserai Roman.
Unionsverlag
ISBN 978 3 293 20501 7
Kairo-Trilogie – 1956 /1957
Die drei Romane Zwischen den Palästen, Palast der Sehnsucht und Zuckergässchen, zusammengefasst in der Kairo Trilogie, verschafften dem Autor weltweite Anerkennung. In diesen drei Werken, erzählt er die Geschichte einer Kairoer Kaufmannsfamilie über drei Generationen hinweg. Sie spürt den Wandlungsprozessen nach, welche die Gesellschaft während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund der Modernisierung und der Kontakte mit dem Westen durchläuft. Die Trilogie brachte Mahfuz den ägyptischen Staatspreis für Literatur ein.
Guten Morgen zusammen,
angeregt durch Bodos Beitrag und dadurch auf den recht blinden Fleck arabischer Literatur hingewiesen, habe ich den Einstieg in dieses Thema mit dem Automobilclub von Kairo begonnen. Die Beschreibung greift naturgemäß viel zu kurz, zu umfangreich sind die Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Verflechtungen den Handelnden und Behandelten in diesem Buch. Ich habe die Lektüre überaus genossen und kann das Buch nur wärmstens empfehlen. Interessant ist, dass der Autor eine Welt beschreibt, die schon so lange vergangen zu sein scheint und doch schildert er verblüffende Details aus dem Alltag, die man, zumindest ich, so nicht unbedingt erwartet hätte.