Xu Hai: AN IVARSSON PRODUCT. Three Generations of Ivarsson
„AN IVARSSON PRODUCT“ angeordnet im Kreis – so lapidar liest sich einer der wertvollsten Stempel der modernen Pfeifengeschichte. Er ist die Signatur von drei Generationen von Pfeifenmachern, von denen zwei Pfeifengeschichte geschrieben haben und die dritte gerade dabei ist, es ebenfalls zu tun: Sixten Ivarsson als einer der Gründerväter der modernen, individuellen Designerpfeife, stilbildend wie kein anderer Pfeifenmacher, sein Sohn Lars Ivarsson, ausgebildet vom Vater, der aber stilistisch bald eigene, nicht minder prägende Wege einschlug und die handwerkliche Perfektion einer Pfeife auf ein unglaubliches Niveau hievte, wie es nur von sehr wenigen erreicht wurde bzw. wird, und schließlich Nanna Ivarsson, die Enkelin von Sixten und Tochter von Lars, die – was Wunder bei zwei solchen Lehrern – sich seit einigen Jahren erst stilistisch im Fahrwasser des Vaters, inzwischen mehr und mehr eigenständig, auf den Weg in den exklusiven Parnass des Pfeifenbaus gemacht hat und inzwischen dort auch einen festen Platz einnimmt.
Diesen drei Generationen von Ivarssons hat nun der chinesische Pfeifensammler Xu Hai ein Buch gewidmet, ein Buch, das sei vorweg gesagt, das der herausragenden Qualität seines Sujets hinsichtlich gestalterischem Aufwand und photographischer Qualität in Nichts nachsteht und in würdigster Form uns den einzigartigen Kosmos Ivarssons’scher Pfeifen nahe bringt. Dieses Buch sucht in der Welt der Pfeifenbücher seines Gleichen – ich würde soweit gehen zu sagen, dass es über Pfeifen nie ein eindrucksvolleres Buch gegeben hat als dieses, das folgerichtig den Titel „AN IVARSSON PRODUCT. Three Generations of Ivarsson“ trägt. Würde man nun sagen, dass dieses Buch „opulent“ ist, dann wird man ihm nicht gerecht, denn es sind die schiere gestalterische Perfektion, seine wundervolle Typographie, die herausragende Materialqualität und der Aufwand bis in kleinste Details, die einen solch atemberaubenden Eindruck hinterlassen: ein herausragendes Buch über herausragende Pfeifenmacher und ihre herausragenden Pfeifen!
„AN IVARSSON PRODUCT. Three Generations of Ivarsson“ ist im September 2015 im chinesischen Verlag Clapnet (ISBN 978-7-5190-0085-1) erschienen, das Format ist 28,4cm x 28,4cm, es umfasst 268 Seiten, kartoniert gebunden im Schuber. Also ein veritabler Kunstband! Das Buch ist zum Preis von 145.00 US-Dollars plus Verandkosten bei Smokingpipes erhältlich. Ich möchte es jedem Interessenten ans Herz legen – das Buch ist zwar nicht billig, aber der Preis ist nicht hoch sondern vollkommen gerechtfertigt: das Buch ist ein mehr als adäquater Gegenwert!
Nun aber zum Inhalt: Der gliedert sich in 42 Seiten Text, der immer von mehr oder weniger kleinen Photographien illustriert wird, und in einen unglaublichen Bildteil von mehr als 200 Seiten Pfeifenfotos, die einen einzigartigen Überblick über das Schaffen der Ivarssons vermitteln. Überhaupt sind es die Bilder, die dieses Buch zu einem „Muss“ für Pfeifenenthusiasten machen, seien es die hervorragenden Pfeifenfotos wie auch die zahlreichen dokumentarischen Fotos, von denen viele aus den Fotoalben der Familie Ivarsson stammen dürften. Sie illustrieren mustergültig Herstellungs- und Entwicklungsprozesse nicht nur der Ivarsson-Pfeifen sondern auch mancher Stanwell-Modelle, für deren Design Sixten verantwortlich war. Skizzen und Reinzeichnungen mit präzisen Maßangaben etwa oder Kartonmasken zum Aufzeichnen der Reinform und der Konstruktionspunkte auf die Kanteln. Dokumentierter „Workflow“ eben, wie man ihn sonst nur bei Besuchen in einer Pfeifenmacherwerkstatt zu sehen bekommt. Dazu gesellen sich Privatfotos, alte wie aktuelle, die der Publikation über den Charakter des opulenten Sachbuchs hinaus etwas Persönliches wie Familiäres verleihen. Und zwar gerade so wohl dosiert, dass es nicht „geschwätzig“ wird.
Nach einer vierseitigen Einleitung von Xu Hai, die nur in Chinesisch vorliegt, folgen ein Text des amerikanischen Pfeifensammlers Rick Newcombe und ein Text des Pfeifenhändlers F. Sykes Wilford, die beide zweisprachig, also chinesisch und englisch, enthalten sind. Dazu kommen noch zwei Interviews, eines mit Lars Ivarsson, das andere mit Nanna Ivarsson, allerdings beide leider nur in Chinesisch. Man hätte sich hier vielleicht gewünscht, den kompletten Textteil zweisprachig zu haben. Gerade die Interviews, die ja vermutlich eh auf englisch geführt wurden?! Der Text von Rick Newcombe ist sehr biografisch und darüber hinaus allzu allgemein gehalten. Wenn man davon ausgeht, dass jemand, der bereit ist, für so ein Buch eine stattliche Summe Geld auszugeben, im Wesentlichen vorher bereits weiss, wer die Ivarssons sind, der wird diesem Text kaum substantiell Neues abgewinnen können und die Verortungsversuche Ivarssons’scher Einzigartigkeit zwischen Stradivari, Leonardo Da Vinci und Steve Jobbs wirken letztlich doch ein bisschen seltsam. Ganz anders dagegen der Text von F. Sykes Wilford, der zwar auch biografisch beginnt, was zu kleinen Redundanzen führt, aber im Gegensatz zu Newcombes Text schnell die Pfeifen der Ivarssons, deren Herstellung und deren Stil zum Mittelpunkt macht. Er charakterisiert dabei treffend, ordnet ein, es wird klar, dass sich Pfeifenbauen nicht in einem abgeschotteten Raum bewegt sondern Einflüssen unterliegt, gerade auch die, die an die nächste Generation Ivarsson oder auch an andere Pfeifenmacher weitergegeben wurden. Ein schöner und lesenswerter Beitrag!
Auf den Textteil folgt der Bildteil, der dreigeteilt ist und mit den Pfeifen von Sixten Ivarsson beginnt, dann kommen die Pfeifen von Lars und er endet mit Nanna Ivarssons Pfeifen. Die Anordnung ist jeweils streng chronologisch, einen schnellen Überblick verschaffen die Detailfotos der Stempel der jeweiligen Pfeife am äußeren oberen Rand, die sich wie ein Register blättern lassen. Die Pfeifen selbst sind unterschiedlich gewichtet: da sind Pfeifen, deren zahlreiche Abbildungen bei komplizierteren Shapes über eine Doppelseite gehen, sie wurden in verschiedensten Perspektiven und Blickrichtungen dokumentiert, was das Buch auch gerade für Designfreaks und Pfeifenbauer so einzigartig macht, denn noch nie hatte man eine Publikation über Pfeifen mit einem derart hohen Dokumentationswert in Händen. Andere Pfeifen sind „nur“ auf einer Buchseite abgebildet, meist in den entscheidenden vier Ansichten. Mehr kann man sich von einem solchen Bildteil nicht wünschen! Auf diese Art wird das Buch neben den sehr alten Katalogen aus England und nicht ganz so alten aus Dänemark ganz sicherlich zu einer weiteren „Bibel“ für Pfeifenbauer und Sammler gleichermaßen!
Um bei so viel Enthusiasmus, den das Buch gerechterweise entfacht, doch auch ein bisschen Kritik zu üben: Es steckt in diesem Buch unglaublich viel Leidenschaft, sehr viel hochprofessionelle Arbeit und letztlich auch sehr sehr viel Geld. Das Resultat ist mehr als gelungen und ich freue mich jedes Mal, wenn ich das Buch aufschlage, aber dennoch finde ich, dass man eine vermutlich einmalige Chance vorbeiziehen hat lassen: Man hätte bei Sixten, dessen Oeuvre ja im Gegensatz zu den beiden anderen Ivarssons abgeschlossen ist, mit nicht sehr viel mehr Aufwand eine „echte“, überblickende Werkmonografie schaffen können. Es gibt einfach ein paar wenige Shapes, die nur in einem angedeuteten Exemplar vertreten sind, wie etwa das „Rhythmische-Tomatoes-Shape“ (hier vor allem die obere der drei abgebildeten Pfeifen) oder ganz fehlen. Das heisst nicht, dass man jede Pfeife in die Auswahl hätte aufnehmen müssen, aber bei ein paar ganz wenigen Shapes wäre der Gewinn für einen kompletten Überblick über das Werk doch enorm gewesen… Das „schmerzt“ aber auch nur deshalb, weil es so wenig ist, was nicht enthalten ist und es auf der anderen Seite ein paar Shapes gibt, die in mehreren, aber sehr sehr ähnlichen Varianten abgebildet sind. Man muss aber auch klar sagen, dass, gemessen an der Leistung, dieses Buch überhaupt erst zu machen und an dem Eindruck, den dieses wundervolle Buch vermittelt, solche Kritik eher wie Erbsenzählerei wirkt! Ich kann das Buch nur empfehlen und jedem Interessierten nahe legen, es zu erwerben – ein schöneres Pfeifenbuch gibt es nicht! Zumindest habe ich noch nie etwas nur annähernd Vergleichbares über Pfeifen gesehen.
P.S.: Die Qualität der Fotos im Buch ist absolut und unzweifelhaft brilliant! Alles, was einen anderen Eindruck vermittelt, ist meinen armseligen Fotos vom Buch geschuldet!
Lieber Peter,
jetzt schreibe ich trotzdem, obwohl ich eigentlich nicht wollte, hier drunter einen Kommentar. Vielen Dank für die grossartige Rezension eines sicherlich bedeutenden Werks. Mir zu teuer, weil nicht mein Spezialgebiet, ich muss auf ein weiteres antikes Werk über den japanischen Holzschnittt sparen. Jeder hat eben seine Profession und Leidenschaft. Warum poste ich jetzt diesen nichtsagenden Kommentar?
Einfach weil unter so einen erstklassigen Beitrag, wenigstens ein Dankeschön gehört. Danke!
Hi Alexander, bist Du jetzt ein höflicher Mensch mit einer guten Erziehung oder einfach nur ein Schmeichler?
Das Buch -aber vielmehr die Rezension – ist schon etwas besonderes. Aber auch ich stelle den Erwerb hinter die Erfüllung eines anderen Wunsches … zunächst.
Lieber Peter,
Auch wenn ich keine einzige Pfeife der Ivarssons mein Eigen nennen darf (was wohl auch für die Zukunft gelten dürfte…seufz!), so möchte ich Dir dennoch für Deine Würdigung des Buches danken. Ich habe Deinen Artikel an einen Freund von mir weiter geleitet, dessen Ivarsson Sammlung inzwischen absolut spektakulär sein dürfte, vielleicht inspiriert Deine Rezension ihn zum Kauf des Werkes – falls er es nicht ohnehin schon kennt oder gar bereits beschafft hat.