VASCELLO: die unbekannte Kultmarke
Ein paar wenige Jahre waren es, zwischen den späten 70er Jahren und den frühen 80ern, in denen einige der wichtigsten und prägendsten italienischen Pfeifenmacher ihre Aktivität begannen oder sich auf eigene Beine gestellt haben. Neben Oberitalien und der Gegend um Pesaro war Rom ein Zentrum dieser Entwicklung. Und wenn ich schreibe Rom, dann meine ich das damals führende Pfeifengeschäft, Carmignani, eine der ersten Adressen des Landes, und wenn ich schreibe Carmignani, dann meine ich seinen damaligen Geschäftsführer Giorgio Musicò!
DIE GESCHICHTE
Giorgio lebt Pfeifen! Ich kenne niemanden in dem ganzen Pfeifenbusiness, dessen Liebe zur Pfeife derart ansteckend und anregend gewirkt hat! Er war der erste in Italien, der die skandinavischen Meisterwerke von Bo Nordh bis Bang bei Carmignani verkauft hat, und obwohl seine persönliche Leidenschaft den kleinen kurzen englischen Pfeifen galt, war er doch auch immer für Neues zu haben. Warum also keine „neuen“ italienischen Handmades? So ebnete er den Weg für eine kleine Gruppe individuell arbeitender Pfeifenmacher aus dem kulturellen Umkreis von Carmignani, indem er sie nicht nur ermunterte, Pfeifen zu gestalten und zu machen, sondern ihnen das Wichtigste für einen Erfolg bot: eine kommerzielle Plattform in einem der besten Pfeifenläden Italiens!
Es gibt da diese kleine Photographie, vor vielen Jahren abgedruckt in der längst eingestellten Zeitschrift „Amici della Pipa“, für die Giorgio Musicò auch als Gastautor tätig war, die ihn im Kreise „seiner“ Pfeifenmacher zeigt: Giorgio vorne sitzend und hinter ihm von links nach rechts Claudio Munalli, Francesco di Mento, Fritz Becker und Baldo Baldi. Ein Stück italienische Pfeifengeschichte.
Der zweite in der Reihe, Francesco di Mento, ist zusammen mit seinen Pfeifen Thema dieses Artikels. Ich muß vorweg sagen, daß ich vor knapp 20 Jahren schon einmal einen Text zu diesem Thema verfasst und bei Willi Albrechts legendärem Forum „Pfeife und Tabak“ gepostet habe. Aber da der Text nicht mehr greifbar ist, mir das Thema aber am Herzen liegt, habe ich mich entschlossen, nochmal was zu schreiben. Nicht, dass noch jemand mit einem Elefantengedächtnis denkt, ich hätte abgeschrieben.
Francesco di Mento war nie ein hauptberuflicher Pfeifenmacher, sondern Offizier in der italienischen Marine, in den Jahren damals stationiert auf Sardinien. Der Pfeifenraucher und Nebenerwerbspfeifenmacher saß quasi an der Quelle, denn damals gab es noch Coupeure auf Sardinien, die dieses hochgepriesene sardische Bruyère-Holz mit seinem ganz leichten Rosastich geschlagen, gesägt und aufbereitet haben. Soweit ich weiß, gibt es das heute nicht mehr, Tom Spanu war der letzte, der teilweise mit diesem Holz gearbeitet hat.
Nun war Francesco di Mentos Pfeifenmacherei schnell erfolgreich, weshalb er eine eigene Marke gegründet und sich Unterstützung von zwei Freunden geholt hat, die mit ihm zusammen die steigende Nachfrage bewältigt haben. Die Marke hieß „Vascello“ zu deutsch „Schiff“, was seinen Ursprung natürlich in di Mentos eigentlichem Beruf hatte. Auch ein passendes Logo war schnell gefunden: ein Bootshaken auf der Mundstückoberseite. Dementsprechend gibt es für die glatten Modelle auch ein Grading, das den Offiziersrängen der Marine entlehnt war. Und Admiräle gibt es nicht viele! Die Farbe des Logos richtete sich nach dem Grading: weiß für die Standardqualität, blau für die glatte „Capitano“ und golden für die „Ammiraglio“. Gestempelt sind die Pfeifen: „Vascello“ „Sarda“ „a mano“.
Als Werkstatt diente damals eine umgebaute Blechgarage, in der die drei die Vascello-Pfeifen fertigten, und man mag sich gar nicht vorstellen, wie körperlich fordernd das Pfeifenmachen in der Sommerhitze Sardiniens unter diesem Blechdach gewesen sein mag!
Allerdings ist der Marke „Vascello“ nur eine recht kurze Zeit beschieden gewesen, was nicht am Erfolg lag, sondern an einer rechtlichen Verfügung der Marine, die ihren Offizieren plötzlich jegliche Nebenerwerbstätigkeit verboten hat: Francesco di Mento und seine Mitstreiter haben sich für ihren eigentlichen Beruf entschieden und die Marke Vascello war Geschichte.
Nach seiner Pensionierung hat Francesco di Mento allerdings wieder in der Pfeifenwelt angeheuert, nämlich in Teilzeit als Verkäufer bei Fincato, einem anderen feinen Pfeifenladen im Zentrum Roms, nur wenige Meter von Carmignani entfernt. Francesco di Mento habe ich durch Giorgio Musicò bei Becker&Musicò kennengelernt und danach hin und wieder auf dem Heimweg vom Büro, wenn er Pfeife rauchend in der Tür bei Fincato stand, ein paar Worte mit ihm gewechselt. Im Frühjahr 2006 ist er gestorben.
Vascello-Pfeifen sind extrem selten, da es entsprechend der kurzen Lebensdauer der Marke nur eine recht kleine Stückzahl gibt. Diese Pfeifen genießen in Italien absoluten Kultstatus, was einerseits an der Qualität der Pfeifen liegt, andererseits natürlich auch an ihrer Seltenheit! Die Preise für Vascello-Estates liegen höher als vergleichbare Castello-Pfeifen. Neue Pfeifen gibt es natürlich nicht mehr, aber schon eine Estate zu bekommen ist schwierig genug! Außerhalb Italiens sind diese Pfeifen weitgehend unbekannt. Schade eigentlich!
Wenn wir uns heute diese Pfeifen anschauen, dann wirken diese auf uns erst einmal relativ unspektakulär. So als hätte man dergleichen schon oft gesehen und sie scheinen wenig besonders. Das stimmt auch. Aber wenn wir uns die Mühe machen, diese Pfeifen mit den Augen des Pfeifenrauchers oder auch des Pfeifenmachers von 1979 anzuschauen, dann kommen wir zu einem anderen Ergebnis. Dazu muß man wissen, wie der Pfeifenmarkt in Italien in diesen Jahren geprägt war. Internet gab es nicht, stilbildend und identitätsstiftend war, was in den Schaufenstern der Pfeifengeschäfte lag. Das waren Serienpfeifen: Für die begüterte Oberschicht Dunhill-Pfeifen, dann die übrigen englischen Klassiker Comoy’s, Orlik, BBB, Peterson etc., dann, günstiger, italienische Pfeifen wie Savinelli, Brebbia, La Raganella und natürlich Rossi, die damals aber alle mit dem Gros der Produktion der englischen Klassik verbunden waren. Dazu kommen Castello, Caminetto und Tagliabue mit ihrer Abwandlung der Klassik und als stilistischer „Sonderfall“ Stanwell. Die skandinavischen Freeform-Pfeifen mit ihrem so stilbildenden Design spielten damals in Italien noch keine Rolle.
DIE FORM
In diesem Umfeld begannen die Pfeifenmacher, eigene Wege zu gehen, die aber anfangs alle stark an der Klassik ausgerichtet waren und zwar egal ob in Oberitalien, Pesaro oder Rom. Und während Pfeifenmacher wie die beiden Becker oder Baldo Baldi sich irgendwann von dieser Klassik emanzipierten, verblieb Vascello in diesem „anfangs“, schlicht weil der Marke und ihren Machern nicht genug Zeit für so eine Entwicklung blieb. Wir haben es bei der Marke Vascello stilistisch eigentlich mit einem eingefrorenen Umbruchsmoment zu tun!
Schauen wir uns die Pfeifen an: Es fällt sofort auf, dass wir es mit klassischen Formen zu tun haben, denen gemeinsam ist, dass die vordere Konturlinie in ihrer Kurvung besonders stark betont ist und in einem starken Gegensatz zur hinteren Konturlinie des Kopfes steht, die fast Castello-artig streng gerade ausfällt. Der gestalterische Trick, der nun zum stilistischen Alleinstellungsmerkmal führt, ist die Wahl des Kopf-Holm-Übergangs: dieser ist im Gegensatz zur hinteren Kopfkonturlinie ebenfalls relativ stark gekurvt, allerdings nicht so, wie man es bei vielen an dieser Stelle „weichen“ Pfeifen kennt, nämlich indem der Holm sich leicht ansteigend nach oben kurvt, sondern indem die eigentlich streng gerade Kopfkontur gerade das, was man erwarten würde, nicht macht, nämlich hart abzuschließen, sondern ausschwingt. In dieser Kombination unterscheiden sich die Pfeifen sowohl von der englischen Klassik als auch von der Castello-Klassik. Die Köpfe gewinnen auf diese Art eine ganz eigene Dynamik, denn die Holme sind entsprechend der hinteren Kopfkontur ebenfalls von streng gerader Linearität.
In meinen Augen ist das ein recht attraktives Wechselspiel zwischen Strenge und Verunklarung selbiger. Es wirkt wie eine gestalterische Nischenwelt, denn die Wege der italienischen Pfeifen lassen das letztlich links liegen und führen woanders hin. Was man, im Gegensatz zu ganz vielen anderen „neuen“ italienischen Marken dieser Zeit, bei Vascello kaum findet, das sind die für Italien so typischen, gestalterisch „billigen“ Straight-Grain Dublin-Varianten, bei denen die Maserung des Holzes das Gewicht des Gestaltungsprozesses in den Hintergrund rückt. Das soll nicht heißen, dass es keine erstklassig gemaserten Vascello-Pfeifen gibt, aber die Formgebung steht vor der Maserung. Hier wirkt der Herstellungsprozess fast englisch, obwohl es sich nicht um Serienpfeifen und Standardshapes, sondern immer um individuell gestaltete Pfeifen handelt.
Das, was mich persönlich an den Vascello Pfeifen aber am meisten fasziniert und was für mich der Grund ist, warum ich sie sehr gerne mag, das ist, abgesehen von den herausragenden Raucheigenschaften als Kombination von handwerklicher Solidität mit erstklassigem Holz, bei den rustizierten Basisqualitäten die Art und Weise der Rustizierung!
DIE RUSTIZIERUNG
Nun ist die Rustizierung bei Pfeifen keine italienische Erfindung, aber es gibt wohl kein Land, wo Pfeifenbauer sich flächendeckend so intensiv mit den stilistischen Möglichkeiten von Rustizierungen auseinandergesetzt haben wie in Italien. Und das auch gerade in den 70er und 80er Jahren! Grundlage dafür war natürlich der enorme Erfolg von Castellos Sea Rock Finish, das seit Ende der 40er Jahre populär war und vor allem den Effekt hatte, die Rustizierung vom Ruf der billigen Resteverwertung zu befreien. Hier muß man allerdings unterscheiden, denn natürlich liegt nicht jeder Rustizierung ein ausgeklügelter und vergleichsweise aufwändiger Gestaltungs- und Herstellungsprozess im Finish zu Grunde, es gibt natürlich auch die „Billigversionen“!
Dass wir es hier nicht mit einer solchen zu tun haben, wird aber auf den ersten Blick deutlich: Eine fast skulpturale Non-Finito Oberfläche ziert etwa den Kopf und Holm der langen Lovat! Die Rustizierung ist gleichmäßig tief, trotzdem wird genügend Holz „stehengelassen“ um kraftvoll zu wirken und damit ein allzu kantiger Eindruck vermieden wird, erfährt die Rustizierung nach dem Abbürsten mit einer Metallbürste einen substantiellen Polierprozess. Dafür wurde der Kopf mit zwei verschiedenen Brauntönen gebeizt, einem leicht rötlichem „warmen“ Mahagonibraun und einem dunklen Walnussbraun, sonst würden die stark polierten „Höhen“ nur zu kühl hell und der Kopf verlöre seine farbliche Homogenität und damit seine Ruhe. Im Vergleich zu einer „normalen“ Sandstahlung ist ein solcher Rustizierungsprozess ein unglaublicher Aufwand, der eigentlich nur Sinn macht, wenn man damit auch gestalten will! Und das kann man hier mustergültig sehen.
Zum Schluss also der Tipp: wem jemals eine dieser seltenen Pfeifen in einem annehmbaren Zustand über den Weg laufen sollte: Zuschlagen! Man erhält micht nur eine erstklassige Pfeife zum Rauchen aus seltenem sardischem Bruyère, sondern auch ein kleines und seltenes Stück Pfeifengeschichte!
Lieber Peter,
danke für diesen schönen Betrag. Ich kannte diese Marke und dne Pfeifenmacher dahinter nicht. Seine Pfeifen gefallen mir jedoch ausgenommen gut. Ich mag ja Sandstrahlungen und Rustizierungen sehr und ziehe sie meist der glatten Pfeife vor. Die hier gezeigten Stücke sind in dem Punkt wahre Meisterwerke. ich glaube zwar nicht, dass ich so schnell eine dieser seltenen Stücke erwerben können werde, sollte mir aber wider Erwarten doch eine Pfeife von VASCELLO begegnen, werde ich deinem Rat folgen und zugreifen.
Herzliche Grüße
Jürgen
Lieber Jürgen,
vielen Dank für deine Antwort! Das zu lesen freut mich sehr! Und ja, mir geht es genauso: auch mir sind rustizierte und sandgestrahlte Pfeifen meist lieber als die glatten!
Herzliche Grüße
Peter
Lieber Peter, was für ein fantastischer Bericht über eine Pfeifenszene von der ich so wenig wusste, obwohl ich schon immer wieder hinein geschnuppert hatte. So war ich schon in dem besagten Geschäft in Rom und kenne Massimo Musico persönlich. Vascello und die italienischen „Marines“ waren mir bis dato völlig unbekannt. Vielen Dank für deinen ausführlichen Einblick. Sehr schöne Pfeifen, die du da auch zeigst. Sind die aus deiner Sammlung?
Liebe Grüße, Alexander
Leider nicht alle! Die Canadian und die Lovat sind meine, die Dublin und die glatte hatte ich mir vor knapp zwanzig Jahren für die Bilder ausgeliehen!
Die Lovat ist der absolute Hammer …. Ist schon fast eine Lesepfeife 😉
Ne, ist besser als eine Lesepfeife, weil der lange Weg hauptsächlich durch Holz geht und nicht durch Ebonit oder Akryl wie bei der Lesepfeife mit ihrem langen Mundstück! In einer solchen Länge eher selten, weil man einen riesengroßen Kantel braucht!
Lieber Peter,
ein schöner Bericht, eben Hemmer-like, und wieder was gelernt!
Viele Grüße
Jürgen
Hi Peter,
vielen Dank für den tollen und hochinteressanten Bericht über diese mir völlig unbekannten Pfeifenmarke. Es sind wirklich wunderschöne Pfeifen, die sich einem, gerade durch deine Erklärungen bezüglich ihrer speziellen Gestaltungsdetails, erschließen. Klasse Peter!
grazie Peter per le belle parole su mio padre Giorgio.
Lui vive fischiettando, si!
Massimo Musicò
Hallo Peter,
der Bericht über diese seltene und faszinierende Marke hat mich wirklich sehr beeindruckt.
Die Historie dieser Marke ist hier wundervoll beschrieben, die Fotos wecken Sehnsucht, Besitzer einer solch fantastischen Pfeife zu werden. Träumen ist ja wohl erlaubt?!
Jedenfalls war ich seit Erscheinen dieses Berichts in einschlägigen Foren auf der Suche nach einer dieser wunderschönen Preziosen. Zwei oder drei Mal hatte ich eine Pfeife entdeckt, allerdings weit entfernt meiner Budgetvorstellungen.
Mitte Juni traute ich meinen Augen nicht: Da wurde doch tatsächlich von einem römischen Estate-Händler eine Vascello Capitano zu einem verlockend niedrigen Preis angeboten!
Die Fotos waren vertrauenswürdig und ich wickelte den Kauf ab.
Nach wenigen Tagen kam die Pfeife an: Eine Vascello Capitano mit wunderschöner umlaufender Straight-Grain-Maserung, am Kopfrand mit entsprechender Birdseye-Maserung!
Die Pfeife ähnelt der im Bericht abgebildeten Bullmoose in Farbe und Größe, nur eben etwas geschwungener. Ich würde sie als Quarter- oder Halfbent einstufen.
Der optische Zustand ist nahezu kratzerfrei, die Brennkammer einwandfrei!
Allerdings fehlt auf dem Mundstück der beschriebene blaue Bootshaken. Vermutlich wurde im Lauf der 44 Jahre das Original-Mundstück (vermutlich Para-Kautschuk) gegen ein Acryl-Mundstück ersetzt.
Die Pfeife ist folgendermassen gestempelt: „Vascello Capitano“, Gegenseite „Sarda a mano“,Unterseite Holm „Carmignano 1980“.
Die Pfeife ist für ihre Größe relativ leicht und vor allem: Sie raucht sich fantastisch!