Fruttero & Lucentini: Die Wahrheit über den Fall D.
Charles Dickens hat einen durch sein Ableben unvollendeten Kriminalroman hinterlassen: Das Geheimnis des Edwin Drood. Das schlimmste, was so einem Werk geschehen kann: der Fall ist nicht aufgeklärt, hat keine Lösung! Und das seit 1870. Drei Folgen der spannenden Geschichte waren zu Lebzeiten des Autors erschienen, drei weitere wurden posthum veröffentlicht. Einen Schluß fand man in Dickens`Hinterlassenschaft nicht. Das Buch ist eine bibliophile Köstlichkeit.
Aber der geneigte Leser ist nicht allein gelassen.
Organisiert durch einen japanischen Sponsor versammeln sich zu einem „Internationalen Forum zur Vervollständing unvollendeter Werke in Musik und Literatur“ die führenden Gestalten der Krimininalliteratur in Rom zu einem Kongreß: Sherlock Holmes, Maigret, Hercule Poirot, Philip Marlowe, Pater Brown und andere treffen zusammen, auch wenn sie eigentlich zu oder für ganz unterschiedliche Zeiten erschaffen wurden. Ihr Ziel ist, in Workshops ein logisches Ende des Romans zu erarbeiten, von dem es tatsächlich bereits über 200 Lösungsvorschläge in der realen Literatur gibt. Eine herrliche Fiktion, die nur das italienische Autorenteam zustandebringen kann. Man stelle sich vor: Marlowe steht an der Via Veneto, ruft ein Taxi – um ihn herum der typische römische Autoverkehr – und bietet zwei Detektiven, zu deren Lebzeiten Taxis noch vier Hufe hatten, die Mitfahrt an. Phantastisch!
Beschrieben hat diesen Kongreß-Roman das Erfolgsduo Fruttero & Lucentini in bekannt hervoragender Manier. Eigentlich fehlt zum abrunden des Vergnügens nach der Lesung noch die Hörspielfassung. Die unterkühlte Stimme von Philip Marlowe im Disput mit der gezierten eines Hercule Poirot, dem Sherlock Holmes mit feinstem Oxford English beitritt, während Maigret, die Pfeife aus dem Mund nehmend, hörbar genüßlich einen Calvados zu sich nimmt: mais c`est magnifique, chers amis.
Wir rauchen dazu vorzugsweise eine Kalabash (Brebbia First Selected), befüllt mit Butera Pelican, Drucquer Trafalgar, oder- falls ausnahmsweise beide gerade nicht zur Hand- ersatzweise den Huber Balkan. Ein Caol Ila rundet die Stimmung ab, aber da ist Dogmatismus fehl am Platze, das Getränk darf diesmal frei gewählt werden.
Fruttero & Lucentini, Charles Dickens
Die Wahrheit über den Fall D.
Piper Verlag München 1991
ISBN 3-492-03454-4
Neueste Kommentare