Das Zippo – Teil 2 | im Krieg
Billy hatte den Einschlag des Geschosses gar nicht bemerkt. Erst als seine Maschine mit aller Gewalt nach Backbord zog und ins Trudeln geriet, wusste er, dass ihn ein Flakgeschütz an der Tragfläche erwischt haben musste. Vergeblich riss er den Steuerhebel seiner Mustang herum und versuchte, den Vogel wieder in eine stabile Flugbahn zu bekommen, aber es war sinnlos. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass fast die Hälfte des Flügels weg war. Er löste die Arretierung der Kuppel und der eiskalte Wind riss ihm den Atemschutz herunter. Er schnappte nach Luft. Eine kurze Panik übernahm seine Gedanken, als er feststellte, dass das Geschoss nicht nur die Tragfläche zerstört, sondern auch den Rumpf verbeult hatte. Billy steckte im Cockpit fest, währende die Maschine in einer immer enger werdenden Todesspirale nach unten trudelte. Er zog mit beiden Händen an seinem linken Bein, um es zu befreien. Kurz bevor er vor Schmerz und Atemnot das Bewusstsein verlor, gelang es ihm irgendwie aus dem Cockpit zu kommen und er fiel in die nachtschwarze Dunkelheit. Monatelanges Training, sein Instinkt oder eine höhere Macht hatten irgendwie dafür gesorgt, dass sich der Fallschirm öffnete und ihn in die Gurte riss. Der Fall bremste sich ab und er nahm einen ersten tiefen Atemzug. Stück für Stück kam sein Bewusstsein zurück und er sah umher. Sein Flugzeug schien verschwunden. Er war ganz allein und unter ihm nur Schwärze. Entweder schwebte er über unbewohntem Gebiet, oder die Krauts hatten die Lichter und Fenster verdunkelt. Sein Bein schmerzte fürchterlich und der eisige Wind ließ seine Augen tränen. Angestrengt versuchte er, unter sich irgendetwas zu erkennen. Er wollte einen sicheren Landeplatz finden, aber noch war der Boden nicht sichtbar. Je länger sein Fallschirmflug dauerte, desto ruhiger wurde er und als die ersten Schemen von Bäumen in sein Sichtfeld gelangten, war sein Herzschlag schon fast wieder normal. Er sah verschwommen ein paar kleine Bauernhäuser am Ende einer Wiese, einen Acker und weiter hinten einen Wald. Er zog an seinen Steuerleinen und navigierte auf den frisch gepflügten Acker zu. Der würde seinen Aufprall noch am ehesten dämpfen, dachte er. Er kam auf dem gesunden Bein auf und rollte sich ab. Mit dem Rücken im Dreck lag er da und starrte nach oben. Stoßweise atmete er in den Schmerz hinein. Ganz hatte er das verletzte Bein nicht schonen können. Stöhnend rappelte er sich auf und raffte den Fallschirm zusammen. Vorsichtig prüfte er sein linkes Bein und trat behutsam auf. Er konnte einigermaßen gehen. Den Schirm hielt er zu einem Knäuel gefaltet vor seiner Brust. Er biß die Zähne zusammen und humpelte zu dem kleinen Wäldchen, das er von oben entdeckt hatte.
Erst als er ein paar Schritte in den Wald hineingelangt war, gestattete er sich eine kurze Pause auf einem Baumstumpf. Inständig hoffte er, dass seine Landung unbemerkt geblieben war. Nach ein paar Minuten erhob er sich mühsam und schleppte sich weiter in den Wald hinein. Es war unheimlich still. Er hörte weder Motorenlärm über sich, noch Flakfeuer. Auch die Tiere des Waldes schienen für einen Moment verstummt zu sein. Er suchte sich eine offene Stelle zwischen den Bäumen, räumte ein paar Zweige zur Seite und ließ sich auf den weichen Waldboden sinken. Wie lange er so da gelegen hatte, wusste er nicht. Erst als er die feuchte Kälte spürte, die durch seine Fliegerjacke kroch, rappelte er sich etwas auf und versuchte, seinen Fallschirm zwischen sich und das feuchte Moos zu bringen. Kurz überlegte er, sich sein verletztes Bein anzusehen, entschied sich aber dagegen. Es war im Stiefel fest eingepackt und einen weiteren Schock brauchte er heute Nacht nicht. So lange er es still hielt, war der Schmerz auszuhalten, das genügte ihm an Information. Er sah auf die Leuchtziffern seiner Uhr, es war gerade einmal Mitternacht und es war jetzt schon so furchtbar kalt. Der Fallschirm allein würde ihn nicht warm halten. Er blickte sich nach allen Seiten um – überall dichter Wald um ihn herum. Er dachte nach. Es war Nacht, es hatte einen Fliegerangriff gegeben, wer sollte sich also jetzt schon hier herumtreiben? Er würde es wagen können, ein kleines Feuer zu entzünden. Rasch hatte er etwas trockenes Laub und ein paar Äste zusammengesucht und sie zu einem kleinen Haufen zu seinen Füßen zusammen getragen. Er durchsuchte seinen Overall nach seinem Feuerzeug. Mit einem blechernen Klick öffnete er es und Benzingeruch drang in seine Nase. Er hielt es an das Feuerholz. Kurz darauf brannten schon die ersten kleinen Zweige, er legte größere Äste nach. Die behagliche Wärme des Feuers tat ihm wohl und er rutschte immer näher heran, achtete aber gewissenhaft darauf, seinen Fallschirm von den Flammen fern zu halten.
Was für ein beschissener Tag! Er war irgendwo über Feindesland abgeschossen worden, war verletzt und hatte keine Ahnung, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen sollte. Der junge Mann ließ sein Zippo durch die Hände gleiten und betrachtete es im Schein seines kleinen Lagerfeuers. Es war noch ein verchromtes Vorkriegsmodell, das ihm Betty vor seiner Abreise geschenkt hatte. Seine Kameraden, so sie denn überhaupt eines dieser begehrten Stücke hatten ergattern können, besaßen diese schwarzen Kriegsmodelle. Die Chromschicht war schon etwas abgegriffen und wo die Gravur hineingeritzt war, konnte er das blanke Messing durchblitzen sehen. „Come back to me! Love, Betty“, stand in geschwungenen Lettern in das Metall geschrieben. „Betty…“, er dachte kurz an seine Freundin und dann an seine andere „Betty“, die P-51B Mustang, die jetzt irgendwo in diesem verdammten Land mit der Schnauze im Boden steckte. Zerschmettert, ausgebrannt – ein zerstörtes Wrack. Auf die Nase hatten ihm die Jungs vom Bodenpersonal in rosa-weißer Schrift „Sweet-Betty“ gemalt und dahinter ein Herz. Einige hatten ihn damit aufgezogen, aber diejenigen, die die echte, menschliche Betty kannten, verstanden ihn. Sie war ein wunderschönes und warmherziges Geschöpf. Er lächelte und betrachtete ihren Abschiedssatz. Er würde es schon irgendwie schaffen, zu ihr zurück zu kommen – hoffentlich bevor die Navy ihr mitteilen konnte, er sei abgestürzt und verschollen.
Er nestelte in der Tasche nach seiner Pfeife, fand sie schließlich unversehrt und steckte das Mundstück in den Holm. Die recht kleine, gerade Dunhill, hatte ihm sein Vater geschenkt und er trug sie stets gestopft mit sich. Sie war mit einem filigranen Silberdeckel versehen, der verhinderte, dass die Tabakkrümel sich in seiner Tasche verteilten. Er zündet die Pfeife an und genoss bald das wunderbare Aroma des Tabaks in seinem Mund. Er blies den Rauch in sein kleines Feuer und sah den unruhigen Flammen zu. Seine Gedanken kamen langsam zur Ruhe. Die Anspannung dieser furchtbaren Situation löste sich allmählich auf und die Müdigkeit gewann die Oberhand.
Am nächsten Morgen wachte er fest in seinen Fallschirm eingewickelt auf. Mühsam befreite er sich aus diesem wirren Knäuel Seide und stand stöhnend auf. Es war bereits hell, das Feuer war nur noch ein lauwarmes Häufchen Asche zu seinen Füßen. Gewissenhaft stopfte den Schirm unter einen umgefallen Baumstamm, deckte ihn mit etwas Laub zu und hinkte vorsichtig gen Waldrand. Sein Bein schmerzte noch immer, aber es war erträglich.
Durch die letzten Bäume vor Blicken geschützt, versuchte er, sich in seiner Umgebung zu orientieren. Da waren der Acker, auf dem er gestern Nacht gelandet war, farblose Wiesen und ein paar hundert Meter weiter ein heruntergekommener Bauernhof. Die Wände waren unverputzt und das Ziegeldach voller Moos, aber aus dem Schornstein stieg eine dünne Rauchfahne. Der Pilot beobachtete den Hof aus dem Schutz der Bäume heraus. Kein Automobil, kein Traktor und auch Tiere waren nicht zu erkennen. Ein trauriger Bauerngarten mit ein paar kahlen Obstbäumen lag vor einem schmutzigen Klinkerbau – ein sehr trostloser und verlassener Ort. Trotzdem schien dort jemand zu wohnen. Billy war das sehr recht. Er musste herausfinden, wo er war, und dazu würde er Kontakt zu jemandem aufnehmen müssen. Da er sich in Feindesland aufhielt, sollte der oder diejenige möglichst harmlos und allein sein. Langsam, sein Bein schonend, ging er auf das Haus zu. Er hoffte, dass er nicht auf Soldaten treffen würde, die Krauts gingen mit ihren Kriegsgefangenen nicht gerade zimperlich um.
Als er vor der schäbigen Holztür stand, zögerte er kurz, klopfte dann zaghaft an und wartete. Die Hände hatte er schon einmal vorsorglich erhoben, um seine Harmlosigkeit zu demonstrieren. Im Grunde war er das auch. Er war verletzt und unbewaffnet – seine „Waffe“ lag sicher ein paar Kilometer weit auf irgendeiner Wiese zu einem undefinierbaren Blechklumpen zerquetscht.
Er hörte schlurfende Schritte im Haus und zuckte unwillkürlich zusammen.
Eine kleine, magere Frau mittleren Alters öffnete ihm die Türe und sah ihn erstaunt an. Sie trug eine speckige Kittelschürze. Ihr Gesicht sah verhärmt und abgearbeitet aus.
„Entschuldigen Sie bitte, Madam …“, begann Billy höflich.
Die Frau sah ihn unverwandt an, aber sprach nicht.
„Sprechen Sie Englisch?“
Die Frau schwieg immer noch, ihr prüfender Blick verhärtete sich allerdings etwas.
„Mein Name ist Leutnant Billy Harris“, stellte er sich mit einer leichten Verbeugung vor.
Sie sagte immer noch nichts, ihr Blick aber verriet, dass sie nach Worten suchte.
Billy sprach weiter: „Ich bin mit meinem Flugzeug abgestürzt und bin verletzt…“ Er zeigte auf sein Bein und zog wie zur Erklärung eine schmerzverzerrte Grimasse.
Endlich öffnete sie den Mund und flüsterte und gebrochenem Englisch. „Haben Sie meinen Sohn getötet?“
Billy sah sie erschrocken an und stammelte entschuldigend: „Es tut sehr mir leid, Madam…“ Er schwieg eine Weile betroffen und sah zu Boden. „… ich hoffe nicht“. Er meinte das ernst. Er wusste es nicht, wie auch. Er kannte ihren Sohn nicht, er wusste es nicht.
Sie trat einen Schritt zur Seite und sagte irgendetwas auf Deutsch. Als er immer noch stehen blieb, machte sie eine einladende Geste.
Er folgte ihr durch ein kurzen, dunklen Flur und dann ließ sie ihn in die Stube eintreten.
„Setzen!“ Sie zeigte auf einen Stuhl an einem klobigen Esstisch. Artig nahm der Amerikaner Platz. Eine dampfende Tasse und ein Teller mit einer Scheibe trockenem Brot standen auf dem Tisch. Anscheinend war sie gerade an diesem Tisch gesessen und hatte gefrühstückt, als er geklopft hatte.
„Kaffee?“, fragte sie vom Herd her.
Billy nickte dankbar und sah sich in dem Zimmer um. Neben dem Tisch und dem Herd, an dem die Frau jetzt hantierte, gab es in dem Raum noch ein verschlissenes Kanapee und ein kleines Regal mit ein paar Büchern und einem primitiven Holz-Radio. Ein „Volksempfänger“, wie Billy wusste. Die Fenster waren klein und mit dicken schwarzen Tüchern verhängt. Alles wirkte furchtbar ärmlich, aber nicht verwahrlost. Die Frau stellte eine dampfende Tasse vor ihn hin: „Kein echter Kaffee“.
Billy bedankte sich artig und schlang seine kalten Hände um das kleine heiße Gefäß. Was das wohl war? Es sah jedenfalls wie Kaffee aus und schmeckte zumindest ähnlich.
Die Frau setzte sich neben ihn und nahm auch einen Schluck. Dann griff sie in ihre Schürze und holte ein zerknittertes Foto heraus und legte es vor ihn hin. Es zeigte einen Jungen in einer Wehrmachtsuniform. Er hatte kurze blonde Haare, Billy schätzte ihn auf nicht einmal zwanzig Jahre.
„Wilhelm, hieß er“.
Beschämt sah Billy auf das Foto. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. „Es tut mir so leid“.
Sie steckte das Foto wieder ein und zeigte mit dem Finger auf ihn: „Sie heißen auch Wilhelm?“, fragte sie. Und als er nicht reagierte, erklärte sie: „Billy, Willy, Wilhelm?“ Wieder deutete sie auf ihn.
Jetzt verstand er: „Nein, nur Billy“, antwortete er fast schon entschuldigend.
Als er ein paar Stunden später die Hofeinfahrt zur Straße entlang ging, war sein Bein frisch verbunden – es war furchtbar dick geschwollen, aber nicht ernsthaft verletzt – trug er Zivilkleidung. Es hatte sich herausgestellt, dass der arme Wilhelm in etwa seine Größe gehabt haben musste. Er hatte alles bis auf seine Stiefel bei der Bäuerin gelassen. Sie war zwar nicht gerade überschwänglich freundlich, aber doch sehr hilfsbereit gewesen. Sie hatte ihm Kleidung von ihrem verstorbenen Sohn herausgelegt, hatte sich um sein Bein gekümmert und ihm als Verpflegung sogar einen kleinen, harten Kanten Brot zugesteckt. Er befand sich am Rand eines Ortes mit dem merkwürdigen Namen „Geilenkirchen“. Die Frau hatte ihm versichert, dass die Grenze nach Holland nicht weit war. Er sollte einfach nur ein paar Kilometer nach Westen laufen.
Da er nun in zivil war, hoffte er, sich unauffällig durch die Ortschaft bewegen zu können. Er hinkte so stark, dass er wie ein Kriegsversehrter wirken würde und dazu musste er sich nicht einmal verstellen. Ein gesunder junger Mann ohne Wehrmachtsuniform hätte sich verdächtig gemacht, aber zu diesem Zeitpunkt des Krieges würde ein hinkender Veteran nicht auffallen. Das war zumindest seine Hoffnung.
Es schienen ohnehin nicht viele Menschen unterwegs zu sein. Der Himmel war bedeckt, es fröstelte ihn ein wenig in der dünnen blauen Arbeitsjacke, die er von dem toten Deutschen geerbt hatte. Nur noch ein Dutzend Häuser, dann würde er aus Geilenkirchen heraus, auf dem freien Feld sein.
Plötzlich trat ein Mann aus einer Haustür und bemerkte ihn sofort. Billy fluchte innerlich, versuchte sich aber seinen Schreck nicht anmerken zu lassen. Er hinkte in unverändert, quälend langsamer Geschwindigkeit weiter und beobachte den Mann aus dem Augenwinkel. Dieser musterte ihn interessiert und kramte dabei in seinen Taschen. Er schien etwas zu suchen. Im Näherkommen sah Billy, dass er in das Feldgrau der Wehrmacht gekleidet war und eine Zigarette im Mundwinkel hatte.
„Kamerad, hast du Feuer?“
Billy verstand nicht, was der Soldat sagte, aber die Geste mit dem hochgereckten Daumen an der kalten Zigarette war deutlich. Er suchte in der Tasche nach seinem Feuerzeug. Er würde ihm schnell Feuer geben und dann, ohne sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, weitergehen.
Billy tastete in den Hosentaschen, der Jacke. Irgendwo musste sein Zippo doch sein. Hatte es es etwa in seiner Fliegerjacke gelassen? Er war sich so sicher gewesen, es mitgenommen zu haben. Irgendwann gab er enttäuscht auf und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Der Deutsche sah ihn etwas genervt an, schien aber keinen Verdacht zu hegen, murmelte etwas und verschwand wieder ins Haus, vermutlich um dort nach Feuer zu schauen.
Eilig humpelte Billy weiter. Sein Bein brannte. Als er sich kurz umwandte, sah er, dass er allein auf der Straße war. Jetzt nur schnell weg, bevor er zurück kommt.
Er hatte es geschafft. In einem humpelnden Gewaltmarsch hatte er die Zivilisation hinter sich gelassen. Erst jetzt, erlaubte er sich zu rasten. Er setzte sich ins Gras, streckte sein verwundetes Bein aus und atmete tief durch.
Irgendetwas Hartes drückte an sein Steissbein. Er tastete danach und spürte das kleine eckige Metall im Saum von seiner – oder besser Wilhelms – Jacke. Er fühlte in der Jackentasche herum und bemerkte ein kleines Loch. Das Feuerzeug musste dort hindurch ins Innenfutter der Jacke gerutscht sein. Vorsichtig schob er das Zippo rückwärts zurück durchs Loch, wieder in die Jackentasche hinein. Als er es endlich in den Händen hielt, war er erleichtert. Er liebte dieses kleine Stück Metall, das so viele Erinnerungen barg.
Plötzlich durchfuhr in ein schrecklicher Gedanke.
Was, wenn er dem Deutschen vorhin damit Feuer gegeben hätte?
Dieser hätte ihn sofort als Mitglied der Alliierten Streitkräfte erkannt. Er wusste zwar nicht, welche Feuerzeuge die Deutschen hatten, aber es waren bestimmt keine Zippos.
Ein paar Wochen später stand er in einem kleinen Juweliergeschäft in New York und betrachtete etwas gelangweilt die Auslagen mit den Uhren, dem Schmuck und all dem anderen glänzenden Tand. Er hatte bereits bezahlt und wartete nur noch darauf, dass der Juwelier aus der Werkstatt zurückkam. Es war ein warmer Frühlingstag, auf der Straße rannten die Menschen wie immer zu hektisch hin und her, der Krieg war hier ganz weit weg. Als der alte weißhaarige Mann zu ihm zurückgeschlurft kam, hatte er zwei Dinge für ihn graviert: Einen glitzernden goldenen Verlobungsring für Betty: „Forever, Billy“ und ein altes abgegriffenes Feuerzeug, auf dessen Rückseite stand nun: „Wilhelm † Geilenkirchen 1945“.
Sachteil:
Als die USA 1941 nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour in den Krieg eintraten und ihn damit zum 2. Weltkrieg beförderten, wurden dort viele Metalle als kriegswichtig eingestuft und standen damit der zivilen Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung. So erging es auch Falcon mit dem Aluminium und führten zu einen Stop der Produktion der Falcon Systempfeifen, aber auch das Messing durfte nicht mehr verwendet werden. Millionen Tonnen Messing wurden damals in die Munitionsfabriken zur Herstellung von Geschosshülsen gebraucht.
George Blaisdell stellte deshalb seine Zippo Produktion von Messing auf Stahl um, was allerdings den entscheidenden Nachteil hatte, dass die Feuerzeuge schon bald zu rosten begannen. Aber er fand auch dafür eine Lösung. Damals war eine Metall-Veredelungs-Technik gerade in Mode gekommen, die sich „Japanning“ nannte. Im Westen ahmte man mit einer Beschichtung aus Asphaltum und Terpentin japanische Lackarbeiten nach, daher der Name. Metall wurde mit dieser schmierigen schwarzen Farbe bestrichen oder darin getaucht und dann wurde diese Farbschicht im Ofen gebrannt. Alte amerikanische Metallhobel (Stanley) zum Beispiel wurden so vor Rost geschützt. Vorsichtig und in mehreren Schritten erhitzt, ergibt diese Asphaltfarbe eine tiefschwarze glänzende Schutzschicht, ähnlich Japanlack. Zu hastig gebrannt, flockt der Teer aus und es entsteht eine Art Orangenhaut. Genau so sahen die Stahl-Zippos in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch aus. Sie wurden folgerichtig Black-Crackle genannt. Zippo lies diesen Arbeitsschritt von einem regionalen Hersteller erledigen. Ob die „Crackle“ gewollt oder Unvermögen waren, entzieht sich meiner Kenntnis.
Neben dem Rostschutz hatte diese mattschwarze Farbe gerade für den Einsatz im Krieg noch einen weiteren Vorteil gegenüber glänzendem Chrom oder Messing. Sie reflektierten weniger Licht. Rauchen wird nämlich noch viel ungesünder, wenn ein bewaffneter Feind durch „Lichtblitze“ auf einen aufmerksam gemacht wird.
Blaisdell gelang es seine Produkte in den PX-Stores (Post-Exchange-Stores) zu platzieren. Zippo war zwar nie offizieller Lieferant der US-Armee, aber de facto konnten die amerikanischen Soldaten die Feuerzeuge in diesen speziell für sie eingerichteten Läden auf der ganzen Welt erwerben. Wenn sie denn etwas Glück und Geduld hatten, denn sie waren bald so beliebt, dass sie ständig ausverkauft waren. In der Heimat hingegen konnten Zivilisten gar keine Zippos mehr kaufen. Sie waren exklusiv für die Streitkräfte reserviert, was die Begehrlichkeit nur weiter steigerte.
Spätestens als sich der berühmte Kriegsberichterstatter Ernie Pyle als Zippo-Fan outete und das Feuerzeug in seinen Zeitungskolumnen erwähnte, wurde es zum Kult. Der geschäftstüchtige Blaisdell schickte Pyle immer wieder Duzende Exemplare ins Kriegsgebiet, die dieser dann generös an Kameraden und Interviewpartner verschenkte. Damit war er vermutlich einer der ersten Influencer.
Für einige Einheiten, Regimenter, Flugzeugträger etc. gab es auch individuelle Designs mit Signets, Logos oder Wappen. Viele Soldaten verzierten ihre Feuerzeuge zusätzlich phantasievoll mit erbeuteten Reichs-Pfennigen, Orden, Plaketten und persönlichen Gravuren. Zum Teil selbst hineingeritzt, aber auch professionelle Gravuren von Juwelieren, die sie irgendwo in der Ferne oder auf Heimaturlaub aufsuchten. Hauptsächlich Einsatzorte, Daten und die Namen der Liebsten daheim, schmückten diese Kriegszippos in dieser Zeit.
Leider kann ich Ihnen hier aus rechtlichen Gründen keine Abbildungen zeigen, aber man findet im Netz sehr viele Fotos und manchmal tauchen auch bei Ebay solche Feuerzeuge aus dem zweiten Weltkrieg auf. Zu unerschwinglichen Preisen und von zweifelhafter Provenienz. Am Ende dieses Artikels, werde ich auch eine Literaturliste veröffentlichen, wenn dieses Thema von weiterem Interesse sein sollte.
Das letzte Kapitel der Zippos im WWII endet mit dem Tod von Ernie Pyle, der bei einem Einsatz in Japan ums Leben kam. Blaisdell, der ein großer Bewunderer des Schriftstellers war, war von dessen Tod sehr berührt und brachte ihm zu Ehren eine Gedenkserie heraus. Ein Black-Crackle-Zippo graviert mit der Inschrift: „In memory – Ernie Pyle -1945“ und verschenkte 600 Stück an dessen Kameraden auf der U.S.S. Cabot, dem Schiff auf dem Pyle zu seinem letzten Einsatzort mitfuhr.
Unser amerikanischer Kampfpilot Billy Harris aus der Kurzgeschichte ist, wie könnte es hier auch anders sein, Pfeifenraucher. Er musste sich damals allerdings mit einem Standard-Zippo zufrieden geben, da der Einsatz speziell für Pfeifenraucher erst 1981/82 eingeführt wurde. Was reichlich spät war, denn eigene Pfeifenversionen gab es von anderen Herstellern schon viel früher. Was in sofern verwunderlich ist, dass George Blaisdell selbst Pfeifenraucher war. Zumindest gibt es ein paar Fotos von ihm, auf denen er Pfeife raucht.
Diese auch heute noch erhältlichen Einsätze speziell für Pfeifenraucher unterscheiden sich zu den „Normalen“ lediglich durch ein Loch im Windschutz und einem kleinen Plättchen auf der Oberseite, zur Stabilisierung des durch die Bohrung etwas geschwächten Kamins. Die Pfeifeneinsätze passen in jede Zippo-Aussenhülle, sodass man keinesfalls auf die leider etwas phantasielosen Designs der Pfeifenzippos angewiesen ist. An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass es auch Dritthersteller gibt, die passende Einsätze für Zippos vertreiben, die den Originalen zum Teil überlegen sind.
Liebe Leserin, lieber Leser,
meine letzten beiden Artikel, fallen etwas aus dem Rahmen – das ist Ihnen bestimmt schon aufgefallen. Das sind keine normalen Pfeifenblog-Artikel, wie Sie die hier seit vielen Jahren kennen. Geplant war eigentlich nur ein einfacher Blogbeitrag über Pfeifenzippos. Bei der Recherche zu diesem Thema, habe ich allerdings soviel Interessantes und Berührendes entdeckt, dass ich einerseits den Überblick verloren, und andererseits von der Geschichte dieses einfachen Alltagsgegenstand überwältigt war. Da ich weder Historiker, noch Journalist bin, sondern Künstler, wollte ich mich kreativ und intuitiv diesem Thema nähern. Ich hoffe es ist mir gelungen, den Artikel einigermassen interessant und kurzweilig zu gestalten, wenn nicht, dann werde ich mich künftig wieder kürzer fassen, versprochen.
Liebe Grüße, Alexander Broy
Literatur:
An American Legend – Zippo: A Collector’s Companion, Avi R. Baer, Alexander Neumark
Zippo – The Great American Lighter, David Poore
When Zippo went to War – a Lighter Legend, Philip Kaplan
Vietnam Zippos, Sherry Buchanan
Weitere Teile sind in Planung und werden in diesem Blog veröffentlicht werden.
- Zippo Geschichte Teil 1
- Zippo und die Kunst
Lieber Alexander,
ein sehr schöner und gelungener Artikel, den ich regelrecht verschlungen habe. Vielen Dank dafür 🙂
Lieber Alexander,
mir geht es genauso: Die beiden Artikel fand ich großartig, habe sie verschlungen und bin gespannt, was Dir dazu noch einfällt. Vielen dank für das „Ungewöhnliche“.
Herzlich,
Christian
Lieber Alexander,
auch ich bin von beiden Artikeln begeistert und habe bei dieser angenehmen Kurzweil viel neues erfahren. Gerade durch die Kurzgeschichten kann man sich besser in die Geschichte einfühlen. Daher würde ich mir auch in Zukunft wünschen, wenn gerade geschichtliche Aufarbeitungen ähnlich gestaltet würden. Dennoch fällt mir im zweiten Teil doch auch auf, dass er etwas eiliger zum Redaktionsschluß fertiggestellt wurde, was sich an ein paar kleinen Stellen im Romanprosa zeigt. Aber das tut dem Artikel keinen Abbruch, denn ich weiß aus eigener Erfahrung wir schwierig es ist, einen solchen Text auf die Beine zu stellen.
Vielen Dank und Viele Grüße,
Marc
Oje, das stimmt … da muss ich schnell noch mal meine Lektorin belästigen …
Gerade erleben wir wieder Kriegszenarien und wie erwartet, verfolgt der Autor eine Taktik der subtilen Hirnwäsche auch im zweiten Teil des dennoch lesenswerten Artikels. Er zielt auf die in uns allen schlummernde Bereitschaft zur Sentimentalität, liefert eine Schilderung aus anderen Kriegszeiten und das berührt uns selbstverständlich. Aber gefällt mir diese durchsichtige Masche? Ich bin mir auch nach zweimaligem Lesen unsicher.
Sicher allerdings ist, dass mir unverändert dieses Blechkastl weiterhin nicht ins Haus kommt bzw. das vorhandene Werbeschenk-Zippo möglichst schnell meine Umgebung verlassen muß.
Auch wenn die Amerikaner gerade wieder unsere Freunde sind. 🙂