Abdullah Ibrahim (Dollar Brand) – The Balance

Das ich hier im Pfeifenblog noch nie über Abdullah Ibrahim gesprochen habe, konnte ich nicht glauben. Aber das durchforsten unseres Audio Pools (mit den drei Auswahl-Buttons unter jedem Audio Bericht)
brachte tatsächlich kein Ergebnis. Nun bietet das soeben am 28.06.2019 veröffentlichte 49.(!) Album (zumindest soviele sind in meiner Sammlung, sicher gibt es noch einige mehr) des südafrikanischen 84 jährigen „Elder Statesman“ Musikers Gelegenheit, das Versäumnis nach zu holen.

Entdeckt und gefördert von Duke Ellington, zählt Abdullah Ibrahim nach den Giganten Keith Jarrett und Marcus Roberts (keine Verwandschaft zur schönen Julia Roberts) für mich zu den herausragenden Lautmalern unter den Jazz-Pianisten. Meilensteine: Good News from Africa (1973) und African Marketplace (1996), aber jedes seiner Alben ist eigentlich ein solcher. Der internationale Durchbruch erfolgte auf dem Newport Festival 1965 – immerhin 54 Jahre her. Seitdem hat sich der Südafrikaner, der lange Jahre als Apartheidverfolgter durch die Welt nomadisieren mußte, einen festen Platz in der Reihe der Götter des Jazz erspielt, mit zahlreichen hat er zusammengearbeitet, darunter John Coltrane, Ornette Coleman, Don Cherry und natürlich Duke Ellington.

In einem Interview der Zeitschrift „Zeit“ aus dem Jahre 2013 lesen wir:

Ich habe schon immer, mein Leben lang, nach einem bestimmten Klang gesucht. Ende der sechziger Jahre, ich lebte zwischenzeitlich in New York, wurde diese Suche immer schlimmer. Ich fuhr Tag und Nacht durch die Straßen, ein rastloser Afrikaner in Amerika, der nicht begriff, was ihn umtrieb: Es war gar nicht der Klang, es war die Stille, die Stille in der Musik … [und] … es gibt Leute, die nur spielen können, wenn sie ein Notenblatt vor sich haben. Wir anderen aber improvisieren, ohne das Ziel zu kennen. Das macht uns frei. Wir fürchten uns nicht vor Situationen, die wir nicht kennen. Wir haben einen Song, haben Rhythmus, Harmonie, Tonlage – und dann fangen wir an, damit zu spielen, stellen alles auf den Kopf … Wir Jazzmusiker haben keine Angst, die Dinge laufen zu lassen.

Statt jetzt eine detaillierte Schilderung seines letzten Werkes The Balance mit tranzendentalen Aspekten zu verfassen, biete ich hier an: anhören, staunen, begeistert sein. Für diejenigen, die bisher keine Kenntnis von Abdullah Ibrahim (Dollar Brand – vor der Konvertierung zum Islam) haben: in allen seinen Werken findet sich die unikate und geniale Verschmelzung von afrikanischen und amerikanischen (Jazz-) Musikströmungen. So auch auf dem gerade erschienenen Album The Balance. War die zuletzt vor vier Jahren veröffentlichte Aufnahme The Song Is My Story ein Soloprojekt, so breitet das neue Album -mit Band- mit 10 Titeln den ganzen Abdullah Ibrahim Kanon vor uns aus. Konzertant? Frei? Schwebend? Emotional? JA!

Fast alle diese Alben zählen zu meinen Favoriten, allerdings bevorzuge ich die Soloaufnahmen und die mit kleiner Besetzung.


Bodo Falkenried

exemplarischer Niederrheiner, seit über 55 Jahren in München daheim, genauso lang Pfeifen- und Tabaksammler, versessen auf Musik, Literatur und andere Künste. Unternehmer, Segler, Reisender [..unser Mann in Asien]. Intensiver Marktgeher, immer an Feuer & Herd, sofern in der Nähe.  

5 Antworten

  1. Winfried KARL sagt:

    Wer diesen großartigen Künstler live sehen möchte:
    Leverkusener Jazztage 06.November 2023.

    https://www.leverkusener-jazztage.de/programm/abdullah-ibrahim/

    Gruß
    W.K.

  2. Winfried KARL sagt:

    Inzwischen erlaube ich mir, im Rahmen des Spinnennetzes der Querverbindungen, auf einen anderen schwarzen Pianisten hinzuweisen, der ebenso, wie Abdulla Ibrahim, zum Islam konvertierte.

    Er verstarb 92 jährig im April dieses Jahres: Ahmad Jamal, an dem sich, so wird überliefert, Miles Davis nicht satt hören konnte.

    https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/ahmad-jamal-jazz-pianist-nachruf-gestorben-100.html

    Am heutigen späten Vormittag, bei einer Pfeifenfüllung auf der Terasse, bescherte mir sein „Live at Montreal Jazz Festival 1985“ einen hochvirtuosen Wachmacher!

    Ihn live zu sehen bleibt nun leider verwehrt.
    Umso mehr freue ich mich auf den 6.November mit Abdullah Ibrahim.

    W.K.

  3. Winfried KARL sagt:

    Live ist es nochmal anders………

    Mit einer schönen Füllung Peterson (Dunhill) Flake lasse ich gerade nochmal eine Woche Leverkusener Jazztage Revue passieren.

    Mit unsicheren Schritten, am Arm seiner Ehefrau, betrat der 89 jährige Adsullah Ibrahim die Bühne.
    Es kostete ihn sichtlich Mühe sich auf der Flügelbank einzurichten und den rechten Abnstand zu den Pedalen zu finden.

    Keinerlei Ansage, keine Zuwendeung zum Publikum.
    Er begann einfach zu spielen, eine Stunde lang, ohne jede Unterbrechung!

    Gewiß, schnelle Tempi spielt er nicht mehr, aber was die Füße nicht mehr vermögen können die Hände noch allemal.
    Klasklarer Anschlag, ebenso klare Darlegung der Harmonien, so lässt er den großen Steinway klingen, singt teilweise dabei Melodien vor sich hin und streut immer wieder rasante, virtuose Läufe ein.
    Und er hat die Gabe Musik durch Pausen atmen zu lassen, scheint manchmal dem Klang nochmal nachzuhören um dann Anlauf zu neuen Melodiebögen zu nehmen.
    Eindrucksvoll ihn aus nächster Nähe so spielen zu sehen.

    Nach einer Stunde dann das Ende. Er rutscht auf der Flügelbank um 90 Grad herum, dann also frontal zum Publikum und nimmt schweigend, mit Gesten der Dankbarkeit die Ovationen des Publikums entgegen. Dabei unsichere Blicke zum Bühnenhintergrund in Erwartung seiner Begleiterin nach draußen.
    Als die dann da ist steht er auf, bittet mit Gesten zum Publikum um Schweigen und beginnt, neben dem Flügel stehend, zu singen, von seiner Heimat Südafrika, den Sklavenschiffen früherer Zeit und dem Zweifel ob er seine Heimat je nochmal wiedersehen wird.
    Sehr bewegend und emotional!

    Erneut branden standing ovations auf für die er sich, sichtlich bewegt, mit Gesten bedankt.
    Am Arm seiner Ehefrau, auf dem Weg von der Bühne scheint er plötzlich zu straucheln, aber nein, es ist die Einleutung einer Kehrtwende um sich am Bühnenrand nochmal mit Gesten für die Ovationen zu bedanken, bevor er dann endgültig im Hintergrud der Bühne entschwindet.

    Ein sehr bewegender Auftritt, ohne Filmdokumentation einmalig und nur live zu sehen.

    Mit seinem Album Solotude allerdings kann man sich diese, seine Art des Solo-Musizierens glücklicherweise reproduzieren.

    • Servus Winfried, was Sie erleben konnten, ist wohl eine Sternstunde für jeden Musikenthusiasten gewesen, beneidenswert und natürlich emotional einmalig. Danke für diese Schilderung, durch die ich den Abend (fast) miterleben konnte.

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