Roger Willemsen† – ein Ruf zurück
Brauchen wir gegenwärtige philosophische Betrachtungen und abgeleitete Analysen und Ratschläge? Mehr denn je! Die mentale Katastrophe, die uns Smart-Irgendetwas und Co, die von ihren Adepten völlig falsch bewerteten Steven Jobse, Zuckerbergs und andere Social Media-Vernagelten beschert haben, ist für die nächsten Dekaden wohl nicht mehr revidierbar. Ein Horror, würden diese Bewegungen überhaupt nicht mehr zu korrigieren sein. Für die wenigen klargeistig-Zurückgebliebenen heute schon das Drama des 21. Jahrhunderts. Wer rüttelt an den Köpfen, wer macht sich unbeliebt, wer läßt sich belächeln?
Wenn die Fragen nicht verstanden werden, so gibt es ein probates Mittel, das zu ändern: z.B. die Sendungen des privaten Senders RTL. Die sind -einschliesslich der sogenannten Nachrichten- so hirnlos, so beschämend, so dumm und ausschließlich dem Konsumanreiz für Vollidioten verpflichtet, das sie mir unwirklich erscheinen. So etwas kann es doch nicht geben, dass muß ein schräger, schmerzhafter Traum sein. Weit gefehlt. Das umgibt uns bereits, täglich zunehmend. Immer rasanter. Eine vollständige Fake-Welt.
Nach der Wiederentdeckung des 80-seitigen Romans Die Maschine steht still, der mich im vergangenen Monat so gefesselt hat, schlage ich wieder ein Schmalbändchen auf, diesmal mit nur 60 Seiten: Roger Willemsen „Wer wir waren“. Der Philosoph, Vor- und Nachdenker, der Autor, der Fast-Weise: im vergangenen Jahr so überraschend aus der Welt gegangen.
Sein letztes Projekt hat er unverzüglich eingestellt, als ihm seine verbleibende Verweildauer bewußt wurde. Was für eine aufrichtige, seltsam lebensbejahende Konsequenz im Angesicht des unausweichlichen Endes. Posthum nun erschienen: Wer wir waren. Kein Buch, wie vom Autor geplant, sondern seine letzte, öffentliche Rede im Juli 2015. Denken Sie über den Sinn dieser drei Worte nach und sie können erwarten, was uns Roger Willemsen an Einsichten -und sei es durch Fragestellungen, die den meisten womöglich ohne Sinn sein mögen- zur Erbauung, zum Aufrütteln, vermittelt.
Die Idee ist wunderbar: retrospektive Gedanken über unsere Gegenwart. Was wie ein Paradoxon erscheint, ist Methode.
Nachdem das Thema Gravitationswellen fast schon ein Volksgut für die Anhänger von Viertelwissen geworden ist, können die Willemschen „Aphorismen“ allgemein vielleicht besser verortet werden. Dennoch keine leichten Gedanken.
Neu ist eher jener Typus des »Second-Screen-Menschen«, dem der eine Bildschirm nicht mehr reicht, der ohne mehrere Parallelhandlungen die Welt nicht erträgt und im Blend der Informationen, Impulse und bildgeleiteten Affekte sich selbst eine Art behäbiger Mutterkonzern ist, unpraktisch konfiguriert und irgendwie fern und unerreichbar. Wir machten dabei nicht der Gegenwart allein den Prozess, sondern unserer eigenen Anwesenheit. [Zitat aus Roger Willemsen „Wer wir Waren“, Seite 34 ff]
Der Band ist vielleicht nicht so geeignet, in einem gelesen zu werden. Das Vergnügen stellt sich beim wiederholten Lesen ein. Dann aber nachhaltig.
Roger Willemsen
Wer wir waren
Zukunftsrede
Verlag S.Fischer
ISBN: 978-3-10-397285-6
Von allen, die in letzter Zeit diese Welt für immer verlassen haben, vermisse ich Roger Willemsen am allermeisten. Naja, vielleicht noch Harry Rohwolt … so ein gescheiter und kultivierter Schwadroneur, ein stiller und konzentrierter Mann von Welt …
Mein Lieblingsbuch: „Die Enden der Welt“ – am liebsten lasse ich es mir als Hörbuch von ihm selbst vorlesen …
Schöner Kommentar :))…. aber hast du „Wer Wir waren“ denn jetzt auch gelesen oder wartest Du auf einen Vorleser? Na ja, wenigstens hast Du nicht „Schönes Buch“ oder ähnliche Alt-Forum Äußerungen geschrieben.
Wer jetzt, Harry?