Perfect? Über einen japanisch-deutsch-französisch-italienischen Hybrid-Martini

Bekanntlich zählt der Martini Dry zu den ganz großen Klassikern der Cocktailwelt. Und alle großen Klassiker haben irgendwann ihre mehr oder minder interessanten Twists bekommen; Variationen, die neue Geschmacksrichtungen hinzufügen oder Gewichtungen verändern. Manchmal überflüssig, manchmal witzig, aber vollkommen unbekannt, manchmal selber fast schon Klassiker. Um sowas geht’s hier!

Wer jetzt denkt, oh Gott, jetzt erklärt mir der Hemmer auch noch, wie ich einen richtigen Martini machen soll, der liegt falsch! Das würde ich mich gar nicht trauen, dazu kenne ich mich viel zu wenig aus! Dazu gibt es Berufenere. Das einzige, was ich will, ist etwas vorstellen, was nicht ganz so alltäglich ist und was mir persönlich taugt! Und ich könnte mir vorstellen, dass andere das vielleicht auch ganz lustig finden?!

GIN

Aber ich muß etwas ausholen: Ich glaube, es gibt keine Spirituose, die in den letzten Jahren international einen derartigen Hype ausgelöst hat wie der Gin! War vor 10-15 Jahren das Angebot durchaus überschaubar, so sind in den letzten Jahren die Designer-Gins, die Regional-Gins aus dem Boden geschossen wie die Schwammerl in einem warm-verregneten August! Dabei ist Gin eigentlich eine tendenziell bescheidene Spirituose: Einfacher Agraralkohol mit verschiedenen Botanicals mehrfach destilliert. Da ist eigentlich nichts drin, was so besonders wäre, dass es richtig Geld kosten müsste und Zeit im Sinne von mehrjähriger Fasslagerung muss auch nicht bezahlt werden.

Trotzdem entstand eine große Produktvielfalt an Gins zum Teil zu exorbitanten Preisen: überall hat man dem Botanical-Kanon irgendeine lokale „Spezialität“ hinzugefügt und geschicktes Marketing betrieben à la „Kleinberghofen Dry Gin“ mit seinen unverwechselbaren Noten von Futtermais und Solaranlagen! Bevor jetzt jemand Google bemüht: den gibts‘ natürlich nicht wirklich! Zumindest noch nicht.

Diese neue Produktvielfalt ist per se begrüßenswert und ein Gewinn! Sie ist aber mit einem anderen Hype einhergehend erklärbar: dem um das Tonic-Water! Im Prinzip die gleiche Entwicklung. Mit vielen dieser neuen Gins kann man tolle Gin Tonics machen, die meisten dieser Regional-Gins, soweit ich das überblicke und ich überblicke nicht die ganze neue Gin Welt, haben aber eines gemeinsam: für klassische Martinis fallen sie aus! Zu extrovertiert, zu einseitig, zu fruchtig, zu floral, zu was weiß ich! Dabei hat uns dieser Gin-Hype auch ein paar ganz klassische neue London Dry Gins beschert, mit denen man gloriose Dry Martinis machen kann! Also ein Gewinn allemal. Aber um die geht’s hier nicht.

ROKU GIN

Roku Gin

Roku Gin. Die sechs japanischen Botanicals sind reliefartig auf der sechseckigen Flasche abgebildet.

Es geht um einen Regional-Gin aus Japan! Kein neues und auch kein besonders rares Produkt im Sinne von Nischenproduktion, aber von einem Produzenten, der weiß, wie gute Spirituosen gehen: Suntory! Bekannt vor allem für erstklassige Whiskies, hat man bei Suntory die Produktpalette um Vodka und Gin erweitert. Einen Gin, dem zusätzlich zu seinen klassischen Botanicals sechs typisch japanische Botanicals hinzugefügt werden: Kirschblüten, Kirschblätter, zwei verschiedene grüne Teesorten, Sansho-Pfeffer und Yuzu-Schale, welche entsprechend ihrem jeweiligen idealen Erntezeitpunkt einzeln destilliert und dann zum Endprodukt vereint werden. Dass dieses Endprodukt, der Roku Gin, keine Spirituose ist, die mit monumentalen Primäraromen aufwartet, versteht sich von selbst: es entspräche nicht dem japanischen Geschmacksideal, das darauf ausgelegt ist, die Reinheit der Zutaten möglichst raffiniert auszubalancieren. Auch wenn der Roku Gin durch die Verwendung der klassischen Bitterorangenschalen und Zitronenschalen und dem Hinzufügen der Yuzuschalen einen leichten zitrischen Schwerpunkt hat, handelt es sich um einen fast cremig-trockenen Gin mit sehr feinem Understatement. Das wiederum heißt, dass es sich durchaus lohnt, den Roku Gin auch für klassische Gin-basierte Cocktails auszuprobieren, also auch für Martinis!

PERFECT MARTINI

Kann man mit dem Roku Gin durchaus gute Dry Martinis machen, so gefällt er mir am besten in einem „Perfect Martini“! Dass ein Dry Martini zum großen Teil aus Gin und einem sehr kleinen Teil aus trockenem weißen Vermouth besteht, ist klar, aber was ist ein „Perfect Martini“? Das gängige Rezept, sofern es sowas überhaupt gibt, besteht zu 50% aus Gin und zu 50% aus Vermouth, wobei der Vermouth-Anteil zu gleichen Teilen aus trockenem weißen Vermuth und süßem dunklen Vermouth besteht. Einen solchen „Perfect Martini“ finde ich persönlich furchtbar und vollkommen verzichtbar, weil der Drink zu süß wird und die Gin-Aromen vollkommen hinter den dunkel-süßen Vermouth Aromen verschwinden. Gerade einem so raffinierten Produkt wie dem Roku Gin sollte man das nicht antun! Dennoch kann man an dem Rezept schrauben und ein paar Dinge verändern um einen wirklich schönen Drink zu erhalten:

Die erste Veränderung besteht in der Gewichtung von Gin und Vermouth. Ich mag es gerne, wenn der „Perfect Martini“ einen signifikant größeren Gin-Anteil hat im Verhältnis zum Vermouth-Anteil! Natürlich nicht so dominant wie im Dry Martini, aber doch deutlich größer. Und ich mag es gerne, wenn der „Perfect Martini“ deutlich süßer ist als ein klassischer Martini, aber eben nicht pappsüss! Der Grundgeschmack dieses „Perfect Martinis“ sollte durchaus noch auf der trockenen Seite sein! Das erreicht man ganz einfach dadurch, dass man auch die Vermouth-Anteile zu Gunsten des trockenen Vermouths verschiebt. Um geschmacklich einen feineren, vielleicht homogeneren Eindruck zu erzielen, ersetze ich darüberhinaus den dunklen süßen Vermouth durch weißen süßen Vermouth! Das ist eigentlich der bedeutendste Eingriff! Er hat zur Folge, dass diese trocken-cremige Stilistik des Dry Martinis zwar gesüsst wird aber erhalten bleibt und nicht durch die dunklen Aromen des Turiner Vermouth verändert wird!

Die verwendeten Zutaten für meinen Perfect Martini: Roku Gin, zwei Arten von Vermouth und eine Bergamotte

Wie man nun im Detail balanciert, hängt von den verwendeten Gins bzw. den zwei gewählten Vermouths ab! Mir persönlich gefällt unter den süßen weißen Vermouths ein deutsches Produkt am besten: der Belsazar Vermouth aus dem Badischen! In diesem Vermouth sind sehr gute Grundweine verbaut, was man sofort schmecken kann und er hat die nötige Komplexität, um einen Turiner Vermouth zu ersetzen.

Für meinen „Perfect Martini“ wähle ich ein Verhältnis von fünf Teilen Roku Gin zu drei Teilen Vermouth und diese wiederum aufgeteilt in zwei Teile trockenen Noilly Prat und einen Teil Belsazar White. Nehme ich bei klassischen Dry Martinis gerne auch einen Spritzer Orange Bitters, so verzichte ich hier darauf, weil der Roku Gin, wie oben schon erwähnt, eh leicht auf der zitrischen Seite ist und ich diese fein-cremige geschmackliche Textur nicht beeinträchtigen will. Alles zusammen ins Rührglas und auf Eis kalt rühren! Fertig!? Nein!

Perfect Martini

Ein Perfect Martini mit Bergamottezeste

Wieder muß ich ein bisschen ausholen: Ich mache und trinke zwar das ganze Jahr über Martinis, aber für mich ist der wirklich perfekte Martini, egal ob „Dry“, „Perfect“, „Dirty“ oder Vesper oder wie auch immer, eigentlich ein saisonaler Drink! Das liegt daran, dass ich Martinis immer mit der Zeste einer Zitrusfrucht parfümiere! Das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, aber für mich essentiell. Normalerweise nimmt man eine Zitronenzeste. Von Spätherbst bis ins Frühjahr hinein gibt es aber auch noch andere Zitrusfrüchte neben den ganzjährig vorhandenen Zitronen und Orangen und hier wird’s spannend, denn es sind in erster Linie Bergamotte und Bitterorangen, die nur dann reif sind und deren Schalen man unter anderem perfekt für Cocktails verwenden kann und die Cocktails eine ganz besondere Note verleihen! Bitterorangenzeste zum Manhattan etwa, aber das gehört nicht hierher.

BERGAMOTTE

Bergamotte

Bergamotte aus Kalabrien

In unserem Fall ist die Bergamotte die Zitrusfrucht der Wahl! Zugegeben nicht überall und nicht ganz einfach zu bekommen, da die Bergamotte eigentlich nicht zum Verzehr angebaut wird (Bergamotten schmecken sehr sauer und sehr bitter zugleich, eine unvorteilhafte Kombination). Sie wird der ätherischen Öle wegen angebaut, die in den Schalen vorhanden sind und die zur Herstellung von Earl Grey Tee, aber in erster Linie für die Parfümindustrie benötigt werden! Und was für die Parfümherstellung recht ist, sollte uns für unseren „Perfect Martini“ nur billig sein! Das Aroma der Bergamotte ist herb, beintrocken grün, zitrisch frisch, immer irritierend, komplex und einzigartig! Eine Bergamotteschale über einen erstklassigen Martini zu pressen ist seine Apotheose, denn es unterstützt bei aller Parfümierung seine „Trockenheit“ auf einzigartige Weise! Und genau so eine Bergamottezeste sprühe ich über den „Perfect Martini“ und gebe sie dann in den Cocktail. Aber Vorsicht: die Schale ist bitter, auch wenn es gelungen ist, nur das grün-gelbe Äußere abzuschneiden! Das heißt, sie verändert unseren Martini über die Zeit und je nach Geschmack (ich persönlich mag „bitter“) muss man sie früher oder später rausnehmen! Das ist vor allem der Tipp für die langsameren Trinker unter uns!

Viel Vergnügen beim Ausprobieren!

9 Antworten

  1. Jürgen Gradenegger sagt:

    Lieber Peter,

    das Gin in dne letzen Jahren so gehypte wurde, erschießt sich mir als Freund des Single Malts eher weniger. Klar es gibt inzwichen auch Gin der aus renommierten Whiskydestillen kommt. Da will man auch sein Stück vom Kuchen ab haben. Ich bin aber eigntlich nicht der große Cocktailfreund. Das einzige was ich hin und wieder im Sommer neben Bier und Single Malt pur genieße, ist ein Longdrink aus Gingerale, einem Spritzer Zitronensaft und einem ordentlichen Schluck rauchigen Single Malt auf Eis. Es muss unbedingt rauchiger Whisky sein, da man sonst nur Zuckerwasser zusich zu nehmen meint. Ich weiß, das ist auch nichts für Puristen und enthält mehrer Sakrilege, mundet mir aber vorzüglich. Dennoch macht mich deine ausführliche Schilderung neugierig. Eventuell probier ich das mal aus. Probieren geht schließlich über Studieren!

    Herzliche Grüße

    Jürgen

    • Peter Hemmer sagt:

      Lieber Jürgen,
      vielen Dank für deine Antwort! Darüber habe ich mich gefreut! Ich trinke schon hin und wieder gerne mal ein kleines Gläschen kalten Gin pur, aber die Spirituosen, für die ich wirklich viel übrig habe, das sind Whiskies aller Art, hochklassige Obstbrände und Bas Armagnac! Und da bin ich mit dem Mixen sehr zurückhaltend mit der Ausnahme Bourbon oder Rye Whiskey. Ich trinke zwar auch ganz gerne mal einen Longdrink, aber Cocktails sind mir da lieber, die ausschließlich aus Alkoholika bestehen, stark, konzentriert, direkt und doch raffiniert und ungewöhnlich. Vor allem der Charakter der Spirituosen wird da eigentlich meistens gut bewahrt und erhält eher „Begleitung“ und das mag ich.
      Herzliche Grüße
      Peter

      • Jürgen Gradenegger sagt:

        Lieber Peter,

        ja da gebe ich dir Recht! Das ist natürlich ein guter Punkt. Mein eHaltung kommt ja auch von einer gewissen „Ignoranz“, da ich mich mit Coktails bisher nicht beschäfftigt habe. Aber man kernt ja da zu und dein Beitrag animiert dazu, es doch mal zu versuchen.

        Herzliche Grüße

        Jürgen

  2. Martin sagt:

    Lieber Peter ,

    Da ich gerade kürzlich unter die Gin trinker gegangen bin kann ich den Hype durchaus verstehen. Schmeckt einfach erfrischend und ziehe ich einem Feierabend Bier mit Pfeife vor. Deine Kreation macht aber definitiv Lust auf mehr. Muss ich unbedingt ausprobieren danke für deine experimentierfreudigkeit.

    • Peter Hemmer sagt:

      Lieber Martin,
      bei uns zu Hause ist der Dry Martini eigentlich der klassische Aperitif, den es zwar nicht jeden Tag gibt aber durchaus mehr als einmal die Woche! Und natürlich will man nicht redundant sein und immer den gleichen Martini machen, also fängt man an, verschiedene Versionen zu machen, auch verschiedene Dry Martinis mit verschiedenen Gins und Bitters oder eben Twists. Pfeife rauche ich dazu nie. Diese zitrisch-wacholdrige Frische mit ihrer geschmacklichen „Trockenheit“ passt für mich da nicht. Da würde ich lieber Drinks auf Bourbon, Brandy oder Rum Basis bevorzugen. Aber wie oben in meiner Antwort auf Jürgen schon geschrieben: ich trinke hin und wieder auch ganz gern ein kleines Gläschen Gin pur…
      Grüße
      Peter

      • Martin sagt:

        Lieber Peter,
        Ich habe nun fast alle Zutaten zusammen, nur bei der Bergamotte tue ich mir schwer.
        Im Wintergarten sitze Ich gern mit Gin Tonic und einem mix aus Sunset u. Haymaker Flake.
        Wenns doch mal ein Feierabendbier wird natürlich was mit Latakia.
        Gruß
        Martin

        • Peter Hemmer sagt:

          Lieber Martin,
          für Bergamotte musst du noch bis Oktober warten, vorher sind die nicht reif! Dann gegebenfalls im Internet schauen? Ich bekomme meine in München zuverlässig am Viktualienmarkt oder beim Eataly! Zur Not tut’s aber eine Zitronenzeste.
          Grüße
          Peter

  3. Dobi sagt:

    Lieber Peter,
    vielen Dank für diese ausführliche und höchst verlockende Anregung!
    Werde ich auf jeden Fall einmal probieren!
    LG Dobi

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