Aharon Appelfeld | Meine Eltern

Am Tage, als ich –wie ich nun weiß – den letzten Roman von Aharon Appelfeld in der mit 300 Jahren ältesten Buchhandlung unsere Freistaates, im Rathaus am Marienplatz 8 gelegen, kaufte, ist der Schriftsteller in seinem 86ten Lebensjahr verstorben. Katerina, Badenheim und Auf der Lichtung hatte ich früher begeistert gelesen, oftmals an die Schilderungen gedacht, aber dann den Autor aus dem Blickwinkel verloren. Dabei war er durch sein gesamte Oeuvre, das ich nach und nach gelesen hatte, auch für mich zu dem bedeutendsten Chronisten der Shoa geworden. Kein Rache-Engel, sondern ein Erzähler, der einfühlsam, melancholisch, manchmal gar romantisch, eine Zeit schilderte, in der grauenhafte Ereignisse stattfanden. Die zwar vergangen sind, deren Erinnerung aber nie verloren gehen darf. Und nun die letzte Erzählung: Meine Eltern.

Es ist eine weitgehend untergegangene Welt, die uns Appelfeld in seinen Werken geschildert hat. Kulturell, geographisch und in den zwischenmenschlichen Beziehungen heute so außergewöhnlich, wie sie von 1933 bis zur Gründung Israels gewöhnlich war. Neben dem überwiegenden Schrecken steht gleichberechtigt die Melancholie. Und damit das Appelfeld-Faszinosum.

Klappentext:
August 1938: Am Ufer des Flusses Prut in Rumänien versammeln sich die Sommerfrischler, überwiegend säkularisierte Juden, darunter ein Schriftsteller, eine Wahrsagerin, eine früher mit einem Christen liierte Frau, die nun auf Männerschau ist. Auch der zehnjährige Erwin und seine Eltern sind hier, doch das Kind spürt, dass etwas anders ist: Hinter den Sommerfreuden, den Badeausflügen und Liebeleien geht die Welt, die alle kennen, zu Ende. Einige reisen früher ab, andere verdrängen die Nachrichten aus dem Westen. Spannungen bleiben nicht aus, auch nicht zwischen den Eltern, der Mutter, die Romane liest, an Gott glaubt und an das Gute, und dem Vater, dem Ingenieur, der alles rational und pessimistisch sieht. Als die Familie in die Stadt aufbricht, überfällt Erwin die Furcht. In der Schule wurde er geschlagen und als «Saujude» beschimpft – und er beginnt zu ahnen, dass an den unterschiedlichen Haltungen seiner Eltern noch viel mehr hängt: die Zukunft, das Überleben.

Ein feinfühliger Roman, der seismographisch die Brutalität des heraufziehenden Krieges verzeichnet – und zugleich das Porträt einer bürgerlichen Welt vor der Katastrophe.

Meine Eltern
Rowohlt Verlag, Berlin
ISBN 978-3737100311
Originaltitel: Avi we-imi

Weitere Titel im Rowohlt Verlag

Ein Mädchen nicht von dieser Welt

Adam und Thomas sind überrascht, als sie sich zufällig im Wald begegnen. Ihre Mütter haben die Jungen dort versteckt, weil es im Ghetto zu gefährlich wurde. Nun müssen die beiden Neunjährigen in der Natur zurechtkommen: Sie lernen die Tiere des Waldes kennen, bauen sich ein Schutznest hoch im Baum, sammeln wilde Früchte. Doch die Schrecken von Krieg und Verfolgung sind nie weit entfernt: Nachts hören sie Schüsse, einmal stoßen sie auf einen Verwundeten. Der belesene Thomas und der tatkräftige, traditionell erzogene Adam müssen lernen, dass sie nur gemeinsam überleben können – im Glauben an ihre Freundschaft, an den Zauber der Natur und die Imagination. Die einzige Hilfe von außen ist die kleine Magd Mina, die die Jungen heimlich versorgt – eine Heilige der Tat. Doch während die rettende Rote Armee näher rückt, werden die Nächte im Wald kälter, und auch Mina gerät in Gefahr … Aharon Appelfeld überlebte den Zweiten Weltkrieg selbst als Kind in den ukrainischen Wäldern.


Alles, was ich liebte

Czernowitz, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die Eltern des 9-jährigen Paul trennen sich, und Paul verliert, was bis dahin sein Zuhause war. Seine Mutter findet Arbeit als Lehrerin in einem Provinzstädtchen. Sein Vater, einst ein gefeierter expressionistischer Maler, hadert in Czernowitz mit der antisemitischen Kunstkritik. Paul wird in die Obhut eines christlichen Kindermädchens gegeben. Doch als die Mutter sich in einen Kollegen verliebt und die Hochzeit nach christlichem Brauch plant, holt ihn der Vater zu sich zurück. Eines Tages erhalten die beiden ein Telegramm: Die Mutter sei erkrankt. Hals über Kopf brechen sie auf, um zu ihr zu fahren. Die Ereignisse überschlagen sich, ihre Odyssee ist nicht zu Ende…


 


Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen

Erwin schläft und schläft und kann kaum mehr aufwachen. Es ist das Jahr 1946, und der jüdische Junge, der mit knapper Not den Nationalsozialismus überlebte, lässt sich auf Zügen und Pferdekarren ziellos durch Europa treiben. Denn der Schlaf hält in Erwin das Verlorene lebendig: die grüne Heimat Bukowina, die geliebten Eltern. Als er nach Palästina gelangt und Hebräisch lernt, beginnt er zu schreiben – und findet damit endlich einen Weg, das im Traum Bewahrte zu retten: Erzählend lässt er die entschwundene Welt in der neuen, uralten Sprache wiedererstehen …


 



Katerina

Ein ukrainisches Dorf Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Katerina verlässt nach dem Tod der Mutter ihr liebloses Elternhaus. In der Stadt findet sie Arbeit bei einer jüdischen Familie, die ihr nach anfänglicher Fremdheit immer vertrauter wird. Doch als man den Hausherrn bei einem Pogrom ermordet, landet Katerina auf der Straße. Ziellos irrt sie umher, lebt von Gelegenheitsarbeiten. Erst als sie sich in Sami verliebt, einen Juden, scheint sie ihren Platz im Leben zu finden: Katerina wird schwanger. Doch dann wird ihr alles genommen, und Katerina will nur eines: Rache.





Auf der Lichtung

Edmund kann gerade noch dem Todeszug entkommen. In den karpatischen Wäldern findet der Siebzehnjährige Zuflucht bei jüdischen Widerstandskämpfern. Sie leben wie in einer großen Familie zusammen: Da ist der charismatische Anführer Kamil, der die Gruppe zu einer Einheit formt, da sind die Kinder Milio und Michael oder die Alten wie Zirl, die noch die religiösen Bräuche pflegt. Als es gelingt, viele Juden aus einem Zug zu befreien, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: Das Ende des Krieges ist spürbar nah, aber die Gruppe kann sich kaum mehr versorgen und vor den Deutschen verbergen.





Badenheim

Und wieder wird es Frühling in Badenheim. Wieder steht das Kulturfestival des Impresarios Dr. Pappenheim bevor. Wieder finden sich die jüdischen Stammgäste in dem kleinen österreichischen Badeort ein – diesmal aber auch seltsame Inspektoren des Gesundheitsamtes.
Während die Beamten die Gäste nachdrücklich auffordern, sich für eine Reise in „das gelobte Land Polen“ zu registrieren, und der einst mondäne Ort immer mehr einem Sperrgebiet gleicht, versuchen die Menschen die Normalität aufrecht zu erhalten: sie besuchen die Konzerte des müden Orchesters und lauschen den Rilke-Rezitationen der schwindsüchtigen Zwillinge aus Wien. Dann, eines Morgens, wird der Befehl zur Abreise gegeben …

Bodo Falkenried

exemplarischer Niederrheiner, seit über 55 Jahren in München daheim, genauso lang Pfeifen- und Tabaksammler, versessen auf Musik, Literatur und andere Künste. Unternehmer, Segler, Reisender [..unser Mann in Asien]. Intensiver Marktgeher, immer an Feuer & Herd, sofern in der Nähe.  

3 Antworten

  1. Wolfgang Hupfer sagt:

    Sehr interessant,kannte ich bis jetzt nicht.Schon die Auszüge lesen sich gut irgendwie weich,nicht verhasst, trotz der Traurigkeit! VG

    • Servus Wolfgang, da geht es mir wie Ihnen, ich empfinde das auch so. Wenn ein Autor mit dieser Vita solche Erzählungen hinterläßt, ist das Ausdruck für einen unglaublich starken Charakter und für eine beeindruckende Philantropie.

  2. Herzlichen Dank an Christian R. für das Aufzeigen eines großen, blamablen faux pas. So alt kannst gar nicht werden, um nicht täglich etwas dazu zu lernen 🙂

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