Hubert Wolf – Die Nonnen von Sant`Ambrogio

Es passt so herrlich in das aktuelle Zeitgeschehen. Das Päpstliche geht um seit Wochen und der kluge Dramaturg und Alt-Inquisitor Benedikt zieht künftig als Emeritus feine Fäden. Und bevor es dem Bernardone-Nachfolger gelingt, ruhiges vatikanisches Fahrwasser zu schaffen, kommt das Buch gerade recht, denn es birgt einigen Sprengstoff: Die Nonnen von Sant`Ambrogio – eine wahre Geschichte. Die Akten eines beispiellosen Inquisitionsprozesses sollten für alle Ewigkeiten in den Archiven des Vatikans verschwinden. Aber niemand konnte ahnen, dass sie über hundert Jahre später der Forschung zugänglich gemacht würden – und Hubert Wolf sie aufspürt. Der ausgewiesene Vatikankenner rekonstruiert aus den minutiösen Protokollen den Prozess gegen Nonnen und Beichtväter und deckt so das Geheimnis von Sant`Ambrigio auf, das die Verwicklung von hochrangigen Würdenträgern und des Papstes – Pius IX.- birgt.

Rom, im Juli 1859: die deutsche adelige Katharina Fürstin von Hohenzollern-Sigmaringen, später Stifterin der Benediktiner Erzabtei Kloster Beuron, überlebt als Novizin einen Giftanschlag in Sant’Ambrogio. Mit Hilfe ihres Cousins Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst kann sie fliehen. Drei andere Schwestern werden dagegen von der Vikarin Maria Luisa umgebracht, Zweiflerinnen, die ihr Erlebtes vielleicht bekanntmachen wollten. Mit ihrer Anzeige vor der Inquisition bringt Katharina eine Lawine ins Rollen. Drei Jahre lang ermittelt der Dominikanerpater Vincenzo Leone Sallua als Untersuchungsrichter im Auftrag der vatikanischen Glaubenskongregation (der Inquisition) und gelangt so den Geheimnissen von Sant’Ambrogio auf die Spur. Es kommt zu einem Prozess, in dem die Inquisition Unglaubliches aufdeckt: im Klausur-Kloster Sant`Ambrogio – einen Steinwurf vom Vatikan entfernt – werden seit Jahrzehnten Nonnen als Heilige verehrt. Visionen, Dämonenaustreibungen, Segnungen per Zungenkuss, lesbische Initiationsriten und Wunder sind an der Tagesordnung. Ja, sogar Morde. Und hinter den Nonnen steht ein Netzwerk von Jesuiten mit besten Kontakten zum Papst.

Koinzidenz?  Der just auserwählte neue Stellvertreter Petri ist ebenfalls ein Jesuit, immerhin der erste auf dem Stuhl Petri.

Der deutsche Jesuitenpater Joseph Kleutgen SJ (1811-1883) wirkt als Chefideologe der reaktionären Katholiken in Rom, gilt als Vater der Neuscholastik. Ein Kleriker von hohem Ansehen, Macht und Einfluß. Und ausgerechnet dieser Priester ist – unter dem Pseudonym Guiseppe Peters – der Beichtvater der jungen Vikarin Maria Luisa. Der kluge Jesuit verehrt die schöne Nonne als Heilige, und das keineswegs nur geistlich. Eingehend verhört, muss er schliesslich einräumen, dass er – immerhin der Sekretär des Jesuitenordens – der 20 Jahre jüngeren Novizenmeisterin intensiv beigewohnt hat. Alle Indizien und Zeugenaussagen beweisen eine heftige Liebesaffäre, dennoch versucht sich der Ordensmann theologisch zu rechtfertigen: “ [..] dass ich von keiner unreinen Leidenschaft dazu veranlasst wurde, dass ich jener Person gegenüber keine sittenlose Liebe und auch keine Zuneigung gespürt habe und dass ich solche Handlungen als Verehrungsakte beging, sodass ich immer kniend die Akte mit großem Widerwillen beging.“ Doch unter der Last der Indizien und Zeugenaussagen muss Joseph Kleutgen seine Schuld bekennen: Häresie, Verehrung einer falschen Heiligen, Sex mit einer Nonne, Bruch des Beichtgeheimnisses. Trotz dieser Ungeheuerlichkeiten und obwohl das klar im Urteil aufgeführt ist, wird er nur zu zwei Jahren Haft verurteilt. Und die muss er nicht einmal in den Kerkern der Inquisition verbringen, sondern in einem Haus seines Ordens. Die Novizenmeisterin Maria Luisa allerdings trifft es mit 20 Jahren Inquisitionshaft härter. Zum Schluss mildert Papst Pius IX. das Strafmaß für Joseph Kleutgen noch einmal ab, denn der deutsche Jesuit gehört zu den engsten Beratern des Papstes. Obwohl ein verurteilter Häretiker, ist Kleutgen später für den Kontext und das theologische Konzept der päpstlichen Unfehlbarkeit verantwortlich. Verlogener und unsittlicher gehts nimmer.

Eigentlich sollte der Fall Sant’Ambrogio 1862 unter den Teppich gekehrt werden. Die Urteile der Inquisition, dem Heiligen Offizium, gerieten sofort unter Verschluss. Das Klausur- Kloster Sant`Ambrigio wurde aufgelöst und die Särge der Äbtissinnen umgebettet. Kein Grabstein sollte an deren Existenz erinnern. Die Akten des Inquisitionsprozesses verschwanden im geheimsten aller Kirchenarchive, dem Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre , der früheren Inquisition, deren Oberhaupt Josef Kardinal Ratzinger von 1982 bis 2005 war. Archiviert auch noch unter einer völlig falschen Rubrik, so daß ein Auffinden unmöglich gemacht werden sollte. Bis das Archiv der Inquisition und Indexkongregation 1998 auf Anordnung von Ratzinger der Wissenschaft zugänglich gemacht wurde. Ein Glücksfall für den Autor Hubert Wolf. Denn diese wahre Geschichte ist fesselnd, ja grandios. Da – wo Dan Browns Themen zu nahe an das Genre Fantasy herangeraten oder Umberto Eco (wundervoll!) fabuliert – stehen die Nonnen von Sant`Ambrogio fest auf kirchengeschichtlicher Forschung. Und die bringt uns der Autor so spannend nahe, dass es schon fast wieder romanhaft ist.

Prof.Dr.Hubert Wolf ist kein spintisierender Dan Brown, sondern berichtet aus seiner eigenen „Haus-und Hof-Umgebung“. Der katholische Priester und international anerkannte Kirchenhistoriker und Spitzentheologe, lehrt heute an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster. Er forscht, recherchiert und analysiert nicht nur exzellent, er kann das auch literarisch ansprechend zu Papier bringen. Ist blitzgescheit gleich dem nun ruhenden Benedikt – und wie dieser ein Wissenschaftler, ein Forschender. Eine Ausnahmeerscheinung unter den Klerikern, mit beeindruckenden Literatur- und Wissenschaftspreisen ausgestattet. Für mich das passende Pendant zum Naturwissenschaftler Harald Lesch.

Kommen wir zu den Begleitutensilien einer sicherlich langen Lesenacht. Und die sollten schon exquisit sein: Bombay Court vielleicht, nachzuschmecken über den Link.

 

Bodo Falkenried

exemplarischer Niederrheiner, seit über 55 Jahren in München daheim, genauso lang Pfeifen- und Tabaksammler, versessen auf Musik, Literatur und andere Künste. Unternehmer, Segler, Reisender [..unser Mann in Asien]. Intensiver Marktgeher, immer an Feuer & Herd, sofern in der Nähe.  

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